Eine Covid-Erkrankung kann mild, schwer, oder tödlich verlaufen – oder sie kann sich für Patientinnen und Patienten auch gefühlt endlos in die Länge ziehen. Wer sich auch noch Wochen nach Covid kraftlos fühlt, der oder die leidet mit grosser Wahrscheinlichkeit an Long Covid. Milo Puhan, Direktor des Instituts für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention an der Universität Zürich, äussert sich im Interview zur Zahl der Betroffenen und die Konsequenzen von Long Covid.
SRF: Milo Puhan, kennen Sie Leute, die an Long Covid erkrankt sind?
Ja, ich kenne welche.
Welche Symptome haben sie?
Müdigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten – das sind die häufigsten Symptome bei den Leuten, die ich kenne.
Was war das wichtigste, was Sie heute präsentieren konnten in Sachen Long Covid?
Das Wichtige ist, dass wir jetzt mehr wissen über den Verlauf. Es sind nicht 50, 60 verschiedene Symptome, sondern deutlich weniger. Wir wissen, wie sich die Symptome über die Wochen und Monate hinweg verhalten, die einen verringern sich über die Zeit, andere bleiben länger.
Welche verbessern sich, und welche nicht?
Lungensymptome, Kurzatmigkeit, Husten – das sind Symptome, die sich bessern. Bestand haben die neurologischen Symptome, also Konzentrations-Schwierigkeiten, oder der sogenannte Brain-Fog. Die Betroffenen berichten von einer Art Nebel im Gehirn, der sie davon abhält, sich konzentrieren zu können oder sich an Dinge zu erinnern.
Sie haben heute gesagt, dass etwa 20 Prozent aller Infizierten Long Covid entwickeln. Da reden wir also von über 150'000 Betroffenen in der Schweiz?
Diese Zahlen decken die ganze Bandbreite ab, von Menschen, die geringe Probleme haben und sich nicht ganz erholt fühlen, bis hin zu Betroffenen, die massiv beeinträchtigt sind.
Ja, es sind sehr viele, weil mittlerweile auch die Infektionszahlen so hoch sind. Aber man muss schon betonen, dass diese Zahlen die ganze Bandbreite abdecken, von Menschen, die geringe Probleme haben und sich nicht ganz erholt fühlen, bis hin zu Betroffenen, die massiv beeinträchtigt sind.
Es gibt sehr viele, die nicht mehr arbeiten können, die praktisch nicht mehr am Sozialleben teilnehmen können. Kann man sagen, um wie viele es sich etwa handelt?
Wir kennen die Zahlen für die Schweiz leider nicht genau. Aber wir wissen aus internationalen Befragungen, dass dort zwischen 40 und 70 Prozent nicht oder nur sehr eingeschränkt ihrer Arbeit nachzugehen können. Ich gehe davon aus, dass die Zahlen in der Schweiz vergleichbar sind.
Was heisst das für unser Gesundheitswesen und unsere Gesellschaft, wenn wir davon ausgehen müssen, dass Zehntausende von Menschen an solch massiven Beschwerden leiden?
Wir müssen sehr aufmerksam sein und die Situation beobachten. Für das Gesundheitswesen gibt es keine Hinweise, dass es deswegen völlig überlastet wäre. Viele Betroffene gehen zum Hausarzt, der vieles auffangen kann. Es gibt spezielle Sprechstunden. Und die Reha-Kliniken waren zum Teil sehr gut gefüllt in der letzten Zeit. Aber man muss sehr gut schauen, was die Auswirkungen sind auf die Arbeitssituation, auf das Sozialleben, die Schulen. Es gibt auch Kinder, die zuhause bleiben oder eine Ausbildung abbrechen müssen, weil sie schlicht zu müde sind.
In dieser Pandemie hat man den Wissenschaftlern schon oft vorgeworfen, sie würden Panik verbreiten. Malen Sie jetzt auch wieder schwarz mit diesen Zahlen und Prognosen?
Ich hoffe es nicht. Die 20 Prozent Long-Covid-Betroffene, die wir für die Schweiz schätzen, liegen tiefer als die allermeisten internationalen Studien. Die meisten Studien sprechen von 40, 50 oder gar 60 Prozent Betroffenen. Aber wir haben das nicht berücksichtigt, weil man diese Studien nur unter hospitalisierten Patienten durchgeführt hat. Wir gehen davon aus, dass die 20 Prozent für die Schweiz nicht zu hoch gegriffen sind.
Die 20 Prozent Long-Covid-Betroffene, die wir für die Schweiz schätzen, liegen tiefer als die allermeisten internationalen Studien.
Das Gespräch führte Urs Leuthard.