Dass sie sich früher oder später wahrscheinlich mit dem Coronavirus ansteckt, war der Kinderärztin Emily Semple schon während der ersten Welle klar. Trotz Maske lasse sich das nicht ausschliessen, wenn sie es tagtäglich mit zahlreichen kranken Kindern zu tun hat, so Semple. Sie vermutet, dass sie sich an ihrem Arbeitsplatz angesteckt hat.
Im Kanton Zürich, wo sie lebt, ist das Contact Tracing schon seit Wochen am Anschlag. Man arbeitet mit wenigen Ressourcen – trotz extrem steigender Fallzahlen. Doch nicht nur in Zürich kommt es zu Abstrichen.
Zahlreiche Abstriche wegen Überlastung
Eine Umfrage des SRF zeigt, dass weniger als die Hälfte der Kantone das Contact Tracing noch im vollen Umfang leisten kann.
In manchen Kantonen, wie etwa im Aargau oder in Basel-Stadt, werden die Intervalle zwischen den Anrufen erweitert. Das heisst, man ruft nicht mehr jeden Tag zur Kontrolle an, sondern nur noch alle paar Tage. In Luzern kontaktiert man die Kontaktpersonen nur noch per Brief oder SMS. Auch in Freiburg werden nur noch SMS verschickt. In Neuenburg und im Jura müssen die Contact-Tracer noch grössere Abstriche machen. Dort werden nur noch die Covid-19-Erkrankten in Isolation kontaktiert und nicht mehr deren Kontakte, die in Quarantäne müssten.
In Zürich heisst es, dass das Contact-Tracing-Team laufend ausgebaut werde, um keine solchen Abstriche machen zu müssen. Emily Semple wurde nach ihrem positiven Test zwar angerufen und nach ihren engen Kontakten gefragt – auf einen Anruf warteten die Kontakte aber alle vergeblich.
Datenfluss stockt
Auch die interne Datenerhebung leidet unter der Überlastung des Contact Tracings, zum Beispiel bei der Erhebung der Ansteckungsorte. Eine wichtige Aufgabe der Tracer ist schliesslich nicht nur, die Ansteckungsketten zu stoppen, sondern auch als Corona-Detektive wichtige Gespräche mit den Covid-19-Erkrankten zu führen. Dabei sollen sie entweder selbst oder im Gespräch mit dem jeweiligen Arzt eruieren, wo man sich angesteckt haben könnte.
Viele Kantone müssen die Telefonate verkürzen und erheben dementsprechend nicht mehr die Ansteckungsorte. In Zürich fragte man Emily Semple nach ihren Vermutungen zum Ansteckungsort. Sie wusste ziemlich genau, wo sie sich angesteckt hat. Sonst weiss man es in Zürich lediglich bei 20 Prozent der gemeldeten Infizierten. Im Wallis konnte man im September immer noch 50 Prozent der Ansteckungsorte eruieren. Jetzt ist man auch hier am Anschlag und erhebt dazu keine Statistiken mehr.
Schweizweit liegt die unbekannte Rate an Ansteckungen bei bis zu 50 Prozent und teilweise drüber.
Musterschüler Graubünden und Schaffhausen
In einigen Kantonen sind jedoch keine Abstriche nötig. Im Kanton Schaffhausen standen diese Woche 20 Vollzeitkräfte zur Verfügung – und trotzdem denkt man bereits jetzt an eine Aufstockung. Hier heisst es: «Es wird auf keine Telefonate verzichtet. Im Härtefall wird mit mehr Personal gearbeitet, nicht mit weniger Anrufen.»
Auch in Graubünden, wo man mit Zivilschutzleistenden und viel Personal im Sommer nachgestockt hat, muss man auf keine Telefonate verzichten und weiss bei ganzen 75 Prozent, wo sie sich vermutlich angesteckt haben.
Herausforderungen sind gross
Bei Emily Semples Kontakten blieb es bei der Eigeninitiative ohne Unterstützung und Anweisungen vom Kanton. Einige ihrer Kontakte sind freiwillig und in Absprache mit dem Arbeitgeber trotzdem in Quarantäne gegangen. Bei anderen war dies so nicht möglich, etwa bei Kollegen der Kinderärztin. Diese mussten arbeiten gehen und erfuhren erst Tage später, dass sie bereits infiziert waren.
Solche Fälle können nur dann verhindert werden, wenn das Contact Tracing reibungslos funktioniert.