Die Idealvorstellung: Wo sind die neuen Corona-Fälle in der Schweiz, und wer hat sich wo und bei wem angesteckt. Eine schnelle Antwort auf diese Frage wäre gut, und zwar möglichst für alle neu auftretenden Fälle. Dann wüsste man schnell, ob es neue Hotspots gibt, Ansteckungscluster auf die man besonders aufpassen muss. Wer Ansteckungsketten kennt, kann sie frühzeitig durchbrechen und lokal Massnahmen ergreifen.
Die Realität: Von 67 neuen Fällen im Kanton Zürich ist seit Anfang Juni nur bei etwa einem Drittel klar, wo sie sich angesteckt haben. Anderes Beispiel: In Bern waren es 27 Fälle in diesem Zeitraum. Nachverfolgen konnte man die Hälfte der Ansteckungen. In Basel-Stadt und Baselland waren von insgesamt 12 Fällen nur 3 rückverfolgbar. Keine guten Voraussetzungen, um die Lage schnell zu erfassen und in den Griff zu kriegen, wenn die Zahlen wieder schnell steigen sollten und es grössere Ausbreitungsherde gäbe. Matthias Egger, der Chef der Corona-Science-Taskforce des Bundes, sieht daher den Lockerungen besorgt entgegen: «Es ist natürlich anspruchsvoll. Man muss schnell handeln und, wenn die Fallzahlen ansteigen, sofort die Kapazitäten erhöhen. Hier wurden wichtige Fortschritte gemacht. Wir sind sicher viel besser vorbereitet als zu Beginn Anfang März. Aber eben: Die Science-Taskforce ist der Auffassung, dass hier doch noch nicht ganz alles bereit ist. Sie hätte es begrüsst, wenn man mit den grossen Lockerungsschritten zugewartet hätte, bis das eben der Fall ist.»
Die Kritik: «Nicht gut», sagt Egger mit Blick auf die bescheidene Rückverfolgungsrate in Zeiten tiefer Fallzahlen: «Das ist besorgniserregend. Das bedeutet nämlich, dass man eigentlich nicht weiss, was abgeht. Wo die Übertragungsketten passieren. Das ist genau das, was man jetzt unbedingt in der Lage sein sollte, zu verstehen. Dass man jeden Fall einer Übertragungskette – im Idealfall – zuordnen kann. Und verstehen kann: Wo sind die Hotspots? Und dort dann eben auch gezielt eingreifen kann. Um Massnahmen in einigen Wochen, die wieder alle betreffen, zu verhindern.»
Der Wunsch: Die Kantone sind also noch nicht so aufgestellt, dass sie Daten zu den neu auftretenden Fällen so erfassen und weitergeben, dass die Forscher auch etwas damit anfangen können. «Es braucht eine zentrale Datenbank, eine Übersicht über das ganze Land», sagt Egger. «Das Virus macht ja nicht an den Kantonsgrenzen halt. Eine Leitungsgruppe muss das jeden Tag analysieren und die entsprechenden Massnahmen in Absprache mit den Kantonen natürlich diskutieren und einleiten.» Die Taskforce dringt deshalb auf eine schweizweite, schlanke Datenerfassung für neue Corona-Fälle. Das sei noch nicht gegeben.