Die Wahl von Marco Sieber spricht für seine Fähigkeiten: Er ist Arzt, arbeitet am Spital Biel als Urologe und ist auch als Notarzt mit der Air Glacier im Einsatz. Ein Top-Kandidat, wie ein Esa-Insider ihn nannte. Das ist unabdingbar. Es dürfte aber wie immer auch eine politische Komponente mitgespielt haben. Aus Schweizer Sicht war diese Berufung nämlich längst überfällig.
Claude Nicollier wurde 1978 von der European Space Agency (Esa) für die erste Gruppe europäischer Astronauten ausgewählt. Nicollier reiste viermal mit dem Space Shuttle in den Weltraum und absolvierte bei der letzten Mission einen achtstündigen Weltraumspaziergang, um das Hubble Weltraumteleskop zu warten.
44 Jahre sind vergangen
Doch seit Nicolliers Wahl sind unglaubliche 44 Jahre vergangen. Dabei gehört die Schweiz zu den Gründernationen der Esa und finanziert die Organisation jedes Jahr mit einem beträchtlichen Betrag mit. Letztes Jahr waren es rund 180 Millionen Franken.
Deutlich mehr als zum Beispiel die Niederlande, welche notabene schon zwei Astronauten stellte. Man durfte sich also berechtigte Hoffnungen machen, dass es diesmal klappt, falls aus der Schweiz hochqualifizierte Bewerbungen eingehen würden.
Hochspannende Phase
Nun hat die Schweiz einen neuen Astronauten, Claude Nicollier einen Nachfolger. Und Marco Sieber tritt seine Stelle in einer höchst spannenden Phase an. Das Artemis-Programm von Nasa und Esa hat gestartet und soll bis 2025 wieder Menschen auf den Mond bringen. Danach soll im Orbit eine Raumstation gebaut und auf der Mondoberfläche eine permanente Basis eingerichtet werden.
Der Mond soll aber nur eine Zwischenstation sein. Die Nasa will von dort ab 2030 Menschen zum roten Planeten schicken. Und gleichzeitig hat die Esa soeben fürs nächste Jahr eine Verdoppelung des Budgets auf 15.2 Milliarden Euro angekündigt. Mitunter hegt sie den Wunsch, ein eigenes bemanntes Raumfahrtprogramm auf die Beine zu stellen.
Ob Sieber nun zuerst zur Internationalen Raumstation ISS in der Erdumlaufbahn reist oder gar die Schweizer Fahne auf dem Mond hissen wird, ist sekundär. Die Tatsache ist, dass ab jetzt ganze Generationen von jungen Menschen in unserem Land heranwachsen in einem Zeitalter, in welchem ein Schweizer in den Weltraum reist. Davon erhofft sich der Bund einen enormen Schub für die sogenannten MINT-Fächer Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik.
Wann kommt die erste Schweizer Astronautin?
Noch schöner wäre es gewesen, die Schweiz hätte eine Frau stellen können. Gerade in den MINT-Fächern sind Frauen im Moment noch deutlich untervertreten. Eine Schweizer Astronautin hätte hier wohl noch einen deutlich grösseren Einfluss. Das ist eine verpasste Chance.
Aber auch ein Schweizer im Weltraum wird bestimmt bei vielen jungen Schülerinnen und Schülern eine Faszination auslösen, die das Interesse an der Materie weckt. Und damit für die Zukunft auch die Chancen auf eine erste Schweizer Astronautin erhöht.