Laut der SP liegt die Ursache der Medikamentenengpässe bei Pharmaunternehmen, da diese ausschliesslich auf Profit aus seien. Die Partei fordert deshalb den Bund zum Kauf von Sandoz auf. Enea Martinelli, der eine Datenbank zur Medikamentenverfügbarkeit führt, spricht im Interview über die aktuellen Engpässe.
SRF News: Wie steht es aktuell um die Medikamentenknappheit?
Enea Martinelli: Im Moment fehlen rund 750 verschiedene Packungen. Die Zahl alleine ist aber nicht entscheidend. Wichtiger ist, ob es ein alternatives Medikament gibt und wie einfach sich diese Alternative einsetzen lässt. Momentan müssen sich Apothekerinnen und Apotheker bei jeder zweiten oder dritten Verschreibung mit mindestens einem solchen Problem auseinandersetzen.
Können Sie ein konkretes Beispiel für ein Medikament nennen, das derzeit knapp ist, und dessen Auswirkungen aufzeigen?
Konkret fehlt beispielsweise ein Medikament im Bereich der Anästhesie. Es wird in Psychiatrien für Elektrokrampftherapien gegen Depressionen eingesetzt. In der Schweiz haben wir das Medikament sogar ganz verloren, da die Firma den Vertrieb eingestellt hat. Als Folge gibt es auch kein Pflichtlager mehr. Wir müssen das Medikament importieren und im schlimmsten Fall sogar ein Gesuch für die Kostengutsprache bei der Krankenkasse stellen. Ein anderes Beispiel sind Heparin-Fertigspritzen für Patienten, deren Nieren nicht mehr so gut funktionieren. Dort muss für jeden Einzelfall eine Kostengutsprache gemacht werden. Alternativ müssen die Patienten mühsam einen Milliliter aus einer Fünf-Milliliter-Ampulle ziehen. Ältere Leute brauchen dafür häufig die Spitex.
Wieso schaffen es die Medikamente denn nicht in die Apotheke?
Die Gründe sind vielfältig. Es gibt beispielsweise wirtschaftliche Ursachen oder auch Produktionsprobleme. Ein aktuelles Beispiel ist die Hurrikan-Saison in den USA. Sie hat dazu geführt, dass mehrere Werke von Infusionsherstellern defekt sind. Die Amerikaner importieren die Infusionen daher aus anderen Regionen, beispielsweise aus Europa. Das führt zu globalen Spannungen bei ganz einfachen Dingen wie beispielsweise Kochsalzlösungen.
Nun fordert die SP, dass der Bund das Pharmaunternehmen Sandoz kauft. Was würde das Ihnen in den Apotheken bringen?
Ehrlich gesagt, würde das nicht wahnsinnig viel bringen. Mit dem einfachen Kauf einer Firma ist es nicht getan, denn auch Sandoz produziert längst nicht alles selbst und bezieht manche Wirkstoffe von globalen Herstellern.
Wir brauchen einen Strauss von Massnahmen. Eine Massnahme wird nicht genügen, um des Problems Herr zu werden.
Was würde denn aus Ihrer Sicht helfen, um die Situation zu entschärfen?
Als Erstes braucht es einen Piloten oder eine Pilotin im Cockpit. Heute wird das System nicht gesteuert. Das, was das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung macht, ist zwar gut, aber das Vorgehen stammt aus den Nachkriegsjahren und ist auf Krisensituationen ausgerichtet. Heute haben wir jedoch nicht mehr eine Krise, sondern ein Problem mit der generellen Situation. Wir haben das Heft aus den Händen gegeben in Richtung der günstigeren Länder und staunen jetzt, dass gewisse Medikamente nicht mehr kommen. Jetzt müssen wir das System neu steuern. Es müssen spezifische Massnahmen pro Wirkstoff definiert werden. Es braucht internationale Verträge, eigene Herstellung, öffentliche Ausschreibung und so weiter. Wir brauchen einen Strauss von Massnahmen. Eine Massnahme wird nicht genügen, um des Problems Herr zu werden.
Das Gespräch führte Peter Hanselmann.