Tödliche Amokfahrten in Mannheim, München, Magdeburg oder Messerangriffe wie in Sollingen: Berichte über solche Taten gab es in den letzten Wochen und Monaten einige. Die jüngsten Angriffe in Deutschland verunsichern. Was die Schweiz betrifft, beruhigt der Experte Dirk Baier aber.
SRF News: Herr Baier, haben diese Taten etwas gemeinsam? Steigt die Bedrohung derzeit?
Dirk Baier: Dabei handelt es sich um Formen von Mikroanschlägen, die mit Tatmitteln ausgeführt werden, die einfach zugänglich sind – Alltagsgegenstände, Autos oder Messer. Dahinter stecken teilweise ganz unterschiedliche Ursachen. Zum Teil haben wir es mit psychisch auffälligen Tätern zu tun, zum Teil mit radikalisierten Tätern. Ich wäre vorsichtig, hier einen Zusammenhang herzustellen oder einen Trend identifizieren zu wollen.
Es ist Aufgabe der Medien, über solche Taten zu berichten.
Wahr ist: Solche Dinge passieren glücklicherweise selten. Im letzten Jahr gab es in Deutschland ein paar von diesen Angriffen – und das bei einer Bevölkerung von über 80 Millionen Menschen.
Welche Rolle spielen die Medien? Führen mehr Berichte auch zu mehr Taten?
So einfach ist die Gleichung nicht. Grundsätzlich ist es die Aufgabe der Medien, über solche Taten zu berichten. Die Menschen sind schockiert und haben Angst: Das muss medial aufgegriffen werden. Insbesondere auch über traditionelle Medien. Denn in den Sozialen Medien geht es meistens hemmungsloser zu und her.
Erkenntnisse aus der Amokforschung zeigen, dass bei einer zu intensiven medialen Berichterstattung, insbesondere über Täter und deren Motive, das Risiko von Nachahmungstaten steigen kann. Eine umsichtige Berichterstattung ist also sicherlich wichtig. Aber dass man darüber reden muss, ist aus meiner Sicht klar.
Immer wieder wird auch der Migrationshintergrund oder die Fluchtgeschichte von Tätern genannt: Was bringt das?
Es ist eine Beschreibung, aber keine Erklärung. Genauso könnte man auch immer wieder sagen: ‹Es sind Männer›. Denn bei all den Taten in letzter Zeit waren Männer die Täter. Aber das hilft uns nicht, die wahren Ursachen zu finden.
Die Behörden in der Schweiz machen richtig gute Arbeit.
Genauso ist das bei der Nationalität: Wir lernen nichts aus der Bestimmung der Nationalität. Stattdessen verschieben wir die ganzen Diskussionen auf Nebenschauplätze, die aber nicht helfen, solche Delikte wirksam zu bekämpfen. Eigentlich müssten wir andere Schlüsse daraus ziehen – etwa dass die Polizei ihr Handeln überdenken und die Behörden die Zusammenarbeit stärken müssen.
Wie schätzen Sie die Schweizer Behörden ein, wenn es darum geht, potenzielle Gefährder zu erkennen?
Zuallererst muss man sagen: Es ist nicht ausgeschlossen, dass solche Einzelfälle auch in der Schweiz passieren können. Die absolute Sicherheit gibt es nicht. Die gab es im Übrigen auch noch nie – wir hatten in der Vergangenheit höhere Kriminalitäts- und Gewaltzahlen, als wir sie zurzeit haben. Gleichzeitig – das zeigen auch Kriminalstatistiken – ist das Niveau der Gewalt in der Schweiz deutlich niedriger als anderswo. Das heisst, die Behörden machen hier richtig gute Arbeit.
Wie gut gelingt es den Menschen, mit solchen Schreckensnachrichten umzugehen?
Es gelingt insbesondere jüngeren Altersgruppen. Es sind eher die mittleren und älteren Generationen, die sich schnell verunsichern lassen. Dabei ist wichtig zu sagen: Das Risiko, Opfer einer Straftat zu werden, ist in der Schweiz sehr, sehr gering. Man kann das öffentliche Leben hierzulande mit einer Offenheit und Lust geniessen.
Das Gespräch führte Reena Thelly.