Die Tessiner Grenzstadt Chiasso hat während des Wahlkampfs nationale Bedeutung erhalten. Rechtspolitiker klagten die falsche Migrationspolitik an und betitelten Chiasso als das «Lampedusa der Schweiz». Seit dem Ende des Wahlkampfs im Oktober macht Chiasso keine Negativ-Schlagzeilen mehr.
Zahl der Asylsuchenden um 50 Prozent gesunken
Anfang Jahr hat der Kanton Tessin eine Notunterkunft geschlossen. Das Bundesamt für Migration (SEM) verlegt die Asylsuchenden in andere Asylregionen der Schweiz. In Chiasso ist – wie im ganzen Tessin – die Zahl der Asylgesuche gesunken. Konkret: von rund 600 auf 300, also um 50 Prozent.
Fernando Buzzi, Vize-Koordinator des Vereins «Mendrisiotto regione aperta», sagt dazu folgendes: «Egal ob es 600 oder 300 sind, diese Menschen leben in schwierigen Verhältnissen. Wenn es ihnen besser geht, geht es uns allen besser». Der Verein (deutsch: «Offene Region Mendrisiotto») entstand als Antwort auf die Wahlkampfpolemik des letzten Herbstes.
Die damals hohe Zahl der Asylsuchenden sei für das Städtchen Chiasso problematisch gewesen, sagt Buzzi. Er betont, dass jeder zehnte von ihnen ein Bagatelldelikt verübe oder straffällig werde, sich diese Zahl aber nicht von Basel oder Zürich unterscheide. Chiasso sei nur durch den Wahlkampf der Rechtsparteien ins Scheinwerferlicht gerückt.
Ende des Wahlkampfs – Ende der Debatte
Der Verein kämpft dafür, dass die Probleme rund um das Asylwesen künftig nicht mehr instrumentalisiert werden können. Er versucht auch, dem Alltag der Asylsuchenden einen Sinn zu geben. «Es ist besser, Fussballspiele oder Mittagstische zu organisieren, anstatt zu weinen und sich über die Asylsuchenden zu beklagen», sagt Buzzi.
Der neu gegründete Verein hat mehr als 100 aktive Mitglieder. Jeden Tag kämen neue dazu, sagt Vereinskoordinator Willy Lubrini. Die Vereinsmitglieder wollen zwischen den Asylsuchenden und der Zivilgesellschaft Brücken schlagen.
Wenn wir Äusserungen hören, die diskriminierend sind, intervenieren wir sofort.
Die Flüchtlinge können beispielsweise beim örtlichen Fussballclub mittrainieren und pensionierte Lehrerinnen bieten Englischkurse an. Eine weitere Vereinsaktivität ist das Beobachten der öffentlichen Debatte.
Der Verein wolle in den Medien eine Gegendarstellung platzieren. «Wenn wir Äusserungen hören, die diskriminierend sind, intervenieren wir sofort. Wir wollen die Diskussion nicht mehr den Rechtspopulisten überlassen. Das haben wir viel zu lange gemacht», sagt Willy Lubrini.
Er gibt sich jedoch auch selbstkritisch. Als SP-Mitglied bemängelt er, dass die SP den Migrationsdiskurs mit seinen Problemen zu lange der Tessiner Rechtspartei Lega und der SVP überlassen habe. In Mendrisiotto sei damit jetzt Schluss. So gesehen habe die ganze Wahlkampfpolemik rund um Chiasso auch etwas Gutes gehabt, sagt Lubrini.