Benedikt Hänggi war 14-jährig und im Internat des Kollegiums Karl Borromäus in Altdorf, als Pater Felix nach dem Duschen alle Mitschüler in ihre Zimmer schickte und ihm befahl, nackt die Dusche zu putzen.
Das perverse Ritual steigerte sich: «Er hat sich entblösst und masturbiert vor mir, er hat mich gezwungen, sein Glied in den Mund zu nehmen, bis er in mich eingedrungen ist.» Hänggi verdrängte den Missbrauch jahrzehntelang. Erst vor sieben Jahren konnte er mit Frau und Familie darüber reden und er meldete sich beim Bistum Basel. Er erhielt 20'000 Franken Genugtuung.
Jahrelang vertuscht
An der Schule im Urnerischen Altdorf wirkte auch Pater Notker, er leitete neben dem Unterricht die Schüler-Blasmusik. Dokumente, die der «SRF-Rundschau» vorliegen, belegen, dass Pater Notker mehrere Schüler nackt fotografierte unter dem Vorwand, er brauche die Abzüge für den Aufklärungsunterricht. Ein ehemaliger Schüler schreibt: «Ich fühlte mich irgendwie sehr wehrlos. Vor allem, als er mir auch noch die Vorhaut über die Eichel schob.»
Der damalige Rektor, Pater Hugo Willi, wusste seit 1975 von mehreren Fällen, weil sich Eltern an ihn gewandt hatten. Trotzdem schrieb er zwei Jahre später einem empörten Vater, der die sofortige Suspendierung von Pater Notker verlangte: «Der betreffende Lehrer beging einen einmaligen Fehltritt mittlerer Schwere (...). Eine Wiederholung konnte nicht festgestellt werden. Wir haben also keinen Grund, von einer krankhaften Veranlagung zu sprechen.»
Auch der Regierungsrat wusste Bescheid
Der Rektor informierte laufend den damaligen Erziehungsdirektor, Regierungsrat Josef Brücker, der die Oberaufsicht über das Schulwesen hatte. Brücker wusste von Anfang an zumindest über die Nacktfotos Bescheid. Auch er war der Meinung, die «Verfehlungen» würden einen sofortigen Ausschluss aus dem Schuldienst nicht rechtfertigen: «Das Verhalten von P. Notker muss zwar als unschicklich bezeichnet werden. Es dürfte aber kaum strafbar sein.»
Laut Dokumenten erfuhr Brücker offenbar neun Monate nach dieser Aussage, dass der Pater die Schüler auch am Penis berührt hatte. Inzwischen war Pater Notker suspendiert worden, nachdem der empörte Vater gedroht hatte, die Sache öffentlich zu machen und eine Strafanzeige einzureichen.
Ruf der Schule höher gewichtet als Leiden der Opfer
Der heutige Urner Regierungsrat und Bildungsdirektor Georg Simmen zeigt sich «erschüttert»: «Meines Erachtens hat man damals die Institutionen, den Ruf der Schule und der Kirche höher gewichtet als die Leiden der Opfer. Die hat man fast negiert.» Ob der Kanton Uri die Missbräuche auch selbst aufarbeiten will, lässt die Regierung offen.
Man wolle abwarten, was die Untersuchung der Universität Zürich ergibt. Dort untersuchen Forscherinnen derzeit sexuelle Missbräuche im Umfeld der katholischen Kirche.
Simmen würde gerne mit den Betroffenen persönlich reden: «Wenn sich das erhärtet und es noch andere Fälle gibt, bin ich offen, dass man da eine öffentliche Entschuldigung macht.»
«Kirche als Täterorganisation»
Jetzt schon entschuldigen will sich Pater Peter von Sury, der die letzten 17 Jahre Abt des Klosters Mariastein war und in verschiedenen Gremien zur Aufklärung von Missbrauch in der katholischen Kirche sitzt. «Ich bitte um Entschuldigung. Für unsere Klostergemeinschaft, für die Pater, die das damals angerichtet haben.» Von Sury gibt sich selbstkritisch: «Die Kirche ist prädestiniert, als Täterorganisation aufzutreten, in der Leute, die solche Verbrechen begehen, einen idealen Rahmen vorfinden oder vorgefunden haben. Sie sind geschützt worden.»
Er sei froh, dass ihn seine Mutter damals nicht in ein katholisches Internat geschickt habe: «Gott sei Dank ist mir das erspart geblieben.» Er hofft, dass sich jetzt die Opfer von damals melden, um sie bei ihrer persönlichen Aufarbeitung zu unterstützen.
Pater Notker ist letztes Jahr verstorben. Nach seiner Suspendierung im Kanton Uri wurde er – von der Justiz unbehelligt – an eine Oberstufenschule im Kanton Solothurn versetzt, wo er auch Schülerlager mitbetreute. Aus dieser Zeit sind keine Missbräuche bekannt.
Pater Felix ist 1984 verstorben. Sein Opfer, Benedikt Hänggi, verarbeitet sein Trauma: «Diese Bilder, das war dann vor allem nachts, meine Frau musste mich immer wieder wecken, weil ich anscheinend geschrien habe, diese Bilder sind nicht mehr verschwunden.»