Der Vorstand der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren sieht derzeit keinen Grund für eine Wiederaufnahme der Corona-Schutzmassnahmen. Zwar sei die Zahl der Hospitalisationen angestiegen, teilt die GDK mit. Die Auslastung der Spitäler mit Covid-19-Patientinnen und Patienten lasse sich aber weiterhin «gut bewältigen».
Anderer Meinung sind mehrere Infektiologen, darunter Huldrych Günthard, leitender Arzt Klinik für Infektionskrankheiten und Spitalhygiene am Universitätsspital Zürich. Die Schweiz müsse mehr gegen das Coronavirus tun, unter anderem mit dem Coronamedikament Paxlovid.
In der Schweiz ist das Medikament vom US-Pharmakonzern Pfizer seit Juni dieses Jahres zugelassen. Über 65-jährige Patientinnen und Patienten profitieren von der Einnahme von Paxlovid – bei ihnen senkt sich das Risiko von einem schweren Verlauf um 70 bis 80 Prozent, wie neuere Studien zeigen.
Trotz deutlicher Risikoverminderung von schweren Verläufen wird das Medikament in der Schweiz zu wenig eingesetzt, findet Infektiologe Huldrych Günthard. «Ein Teil der Menschen lässt sich gar nicht mehr testen, was aber wichtig wäre – denn wenn man die Patienten mit Paxlovid behandeln will, muss man damit früh im Krankheitsverlauf beginnen, sonst wirkt es nicht», erklärt Günthard.
Wenn Paxlovid früh eingesetzt wird, dann müssen die Patienten gar nicht ins Spital.
«Zweitens sind Ärzte eher zurückhaltend mit dem Einsatz von Paxlovid, weil man muss die Interaktionen – Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten – überprüfen.» Denn es gibt gewisse Medikamente, die sich mit Paxlovid nicht kombinieren lassen. Hausärztinnen und -ärzte könnten und sollten Spezialisten um Rat fragen, wenn sie sich bei der Abgabe von Paxlovid unsicher seien.
Ausserdem sei der vermehrte Einsatz des Coronamedikaments auch aus Sicht des Gesundheitswesens wichtig. Denn wenn es zu viele Patienten mit schweren Verläufen gebe, dann werde der Druck auf die Spitäler gross. «Wenn Paxlovid früh eingesetzt wird, dann müssen die Patienten gar nicht ins Spital», erklärt Günthard. Man müsse das ausnützen, was man habe – zum einen mit dem Booster, zum anderen mit Paxlovid. «Wenn wir die Tools, die wir haben, nicht einsetzen, dann machen wir einen schlechten Job.»
Gemäss dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) wurden 12'000 Packungen des Medikaments gekauft. Die behandelnden Ärzte müssten aber selber entscheiden, ob Paxlovid verabreicht werden soll. Günthard sieht es denn auch positiv, dass das BAG Paxlovid überhaupt in ausreichenden Mengen beschaffen konnte. «Aber man hätte die Ärzte proaktiver motivieren können, das Medikament auch häufig einzusetzen – auch bei Leuten, die nicht nur die allerschwersten Risikofaktoren haben.»
Auch Boosterkampagne zu wenig intensiv
Auch beim Verimpfen des zweiten Boosters sieht Günthard noch Potenzial. «Das BAG hat zwar informiert, dass der Booster Sinn macht – am Anfang nur bei einer eingeschränkter Gruppe von über 85-Jährigen.»
Danach wurde die Empfehlung erweitert, jedoch hätte das BAG eine intensivere Kampagne führen können, um den Leuten zu zeigen, was der Gewinn für das Individuum und die Gesellschaft ist, so Günthard. Denn mit vielen Impfungen könne der Druck auf das Spital reduziert werden. «Wir sind schweizweit extrem knapp, weil wir zu wenig Pflegepersonal haben – auch ohne Covid. Und das kommt nicht einfach wieder.»