Heute Mittag geht Mühleberg vom Netz – für immer. Nach 47 Jahren.
Die Stilllegung erfolgt aus wirtschaftlichen Gründen. Für die Betreiberin, die Berner Kraftwerke (BKW), lohnen sich mitunter die von der Aufsichtsbehörde Ensi geforderten Nachrüstungen nicht. Rolf Wüstenhagen von der Universität St. Gallen sieht das als Chance für die BKW, ein neues Kapitel aufzuschlagen.
SRF News: Mühleberg ist das erste Schweizer Atomkraftwerk, das seinen Betrieb einstellt. Hat das mehr als eine symbolische Bedeutung?
Rolf Wüstenhagen: Es ist ein wichtiger Schritt bei der Umsetzung der Energiestrategie. Das Volk hat entschieden, dass die Kernkraftwerke mittelfristig abgeschaltet werden sollen und dass man verstärkt auf Energieeffizienz und erneuerbare Energien setzen soll. Man muss den Worten nun Taten folgen lassen. Und das ist im Fall von Mühleberg der Fall.
Die BKW betonte, dass sich die Nachrüstung langfristig nicht gerechnet hätte. Was bedeutet diese Argumentation für andere AKW-Betreiber?
Bei einem Kernkraftwerk ist das ein bisschen wie bei einem alten Auto. Früher oder später muss man nachrüsten und Reparaturen vornehmen. Und jedes Mal, wenn eine solche Reparatur oder eine Nachrüstung ansteht, gibt es wieder einen Sprung bei den Kosten. Idealerweise würde man diese gleichmässig verteilen. Doch die Betreiber rechnen anders. Sie betreiben das Kraftwerk, solange sie nichts investieren müssen, und wenn dann eine Investition ansteht, überlegen sie es sich. Die BKW hat an dem Punkt gesagt: «Wir ziehen die Bremse.» Andere Betreiber sind noch nicht an diesem Punkt.
Inwiefern hängt dieser Entscheid von den Strompreisen ab?
Die Strompreise haben einen grossen Einfluss. Es gab vor zwei Jahren eine Periode mit sehr tiefen Strompreisen. Die Kernkraftwerke haben damals Verluste geschrieben. In den letzten zwölf Monaten haben wir wieder einen Anstieg gehabt. Insofern kann der Betrieb kurzfristig wirtschaftlich sein. Für die langfristige Wirtschaftlichkeit wäre es wichtig, dass man neu investiert.
Sie betreiben das Kraftwerk, solange sie nichts investieren müssen, und wenn dann eine Investition ansteht, überlegen sie es sich.
Mühleberg deckte bisher rund fünf Prozent des Schweizer Strombedarfs. Diese werden jetzt fehlen. Wo nimmt man diesen Strom her?
Man muss zwischen kurzfristig und mittelfristig unterscheiden. Wenn man berücksichtigt, dass die Schweiz etwa zwei Prozent des europäischen Stromverbrauchs ausmacht, dann sind wir mit den fünf Prozent bei einem Promille. Das wird im europäischen Strommarkt kurzfristig keine grossen Konsequenzen haben. Mittelfristig geht es darum, diese Kapazitäten konkret zu ersetzen. Das kann zum Teil im Ausland sein. Das sollte aber auch im Inland sein, damit man hier ebenfalls die entsprechenden Kapazitäten hat.
Die Atomenergie hat im Ausland zum Teil ein Comeback gefeiert. Ist die Schweiz mit ihren Ausstiegsplänen antizyklisch unterwegs?
Nein. Es gibt viele Länder in Europa, die sich schon lange von der Atomenergie verabschiedet haben oder schon gar nicht eingestiegen sind. Viele dieser Länder sind unter den Vorreitern des Ausbaus erneuerbarer Energien; denken wir an Dänemark oder Portugal. Dänemark hat 40 Prozent Windenergie, Portugal über 25 Prozent. Wenn man diesen Schritt einmal vollzogen hat, dann kann man auch – wie man im Fussball sagen würde – befreiter aufspielen. Gerade für die BKW als Betreiberin ist es eine Gelegenheit, ein neues Kapitel aufzuschlagen und den Blick nach vorne zu richten.
Das Gespräch führte Salvador Atasoy.