«Es war schrecklich, Marius nicht mehr aus der Krippe abholen zu können, mit ihm zu Abend zu essen und ihm eine Gutenachtgeschichte vorzulesen», sagt Iulia Varga. Aus Rücksicht auf ihren Sohn möchte sie anonym bleiben, wir haben ihren Namen geändert.
Man hat behauptet, dass ich mich deswegen nicht kindgerecht um ein vierjähriges Kind kümmern könne.
Als sie und ihr Ex-Partner sich getrennt haben, hat er bei der Kindesschutzbehörde Kesb erwirkt, dass er das Sorgerecht bekam. Begründet hat er seinen Antrag damit, dass sie 100 Prozent arbeitstätig sei und er mit 70 Prozent die Hauptbezugsperson des Kindes sei.
«Ich fand es unglaublich, dass man mir als Frauenärztin vorgeworfen hat, dass ich Nacht- und Wochenenddienste machen muss», erzählt Varga. «Man hat behauptet, dass ich mich deswegen nicht kindgerecht um ein vierjähriges Kind kümmern könne.»
«Eine Mischung aus Scham und Schmerz»
Die Frauenärztin hat sich vor Gericht gegen den Entscheid gewehrt, blieb aber erfolglos. Sie hat ihre Erfahrungen in einem Buch verarbeitet. «Es war eine merkwürdige Mischung aus Schmerz und Scham», erinnert sie sich. «Schmerz darüber, dass ich das Sorgerecht für meinen Sohn verloren habe und Scham, mich in der Welt zu zeigen.»
Wir müssten vielleicht die zwingende Mediation ins Gesetz schreiben.
Sie habe gemerkt, dass die Leute ihr nicht geglaubt hätten und den Verdacht hatten, sie verstecke etwas. «Sonst nimmt man einer Mutter doch das Sorgerecht nicht weg.»
Parlamentarier fordert «schärfere Sanktionsmassnahmen»
Seit 2014 gilt das gemeinsame Sorgerecht bei Scheidungen. Schwierig wird es, wenn Eltern stark zerstritten sind oder sich nicht an Abmachungen halten. Stefan Müller-Altermatt, Nationalrat Mitte, will die Situation für Familien verbessern.
«Wir müssten vielleicht die zwingende Mediation ins Gesetz schreiben – oder schärfere Sanktionsmassnahmen, wenn ein Elternteil nicht kooperiert», erklärt er. Ein entsprechendes Postulat, das er 2019 an den Bundesrat überwiesen hat, sei bisher aber ohne Wirkung geblieben, kritisiert er.
Aargau macht gute Erfahrungen mit Familiengericht
Doch auch im Bundesamt für Justiz hat man mittlerweile den Handlungsbedarf erkannt und eine Tagung an der Universität Freiburg veranstaltet, wo diese Ideen diskutiert wurden.
In Familiengerichten können verschiedene Berufsgruppen über die Regelung der Beziehung zwischen den Eltern und den Kindern entscheiden.
Rechtsprofessorin Alexandra Jungo würde obligatorische Mediationen begrüssen, auch Familiengerichte fände sie eine gute Lösung. «In Familiengerichten können verschiedene Berufsgruppen wie etwa Psychologinnen, Psychiaterinnen und Juristinnen zusammen über die Regelung der Beziehung zwischen den Eltern und den Kindern entscheiden», erklärt Jungo.
So müssten nicht nur rechtlich ausgebildete Leute über Konflikte, Beziehungen und Emotionen entscheiden. Im Kanton Aargau gibt es bereits solche Familiengerichte, dort macht man gute Erfahrungen.
Mediation als Pilotprojekt in Bern
Auch die zwingenden Mediationen existieren bereits als Pilotprojekt, zum Beispiel im Kanton Bern. Der Vorteil: die Eltern können sich dem Dialog weniger entziehen, wenn die Mediationen obligatorisch sind.
Es gibt also verschiedene Ideen, wie Familienkonflikte im Trennungsfall besser geregelt werden könnten. Justizministerin Elisabeth Baume-Schneider reagiert aber zurückhaltend auf die Forderung, solche Lösungen schweizweit einzuführen. Sie wolle zuerst die Erfahrungen abwarten.