St. Gallen hat eine aufwühlende Nacht hinter sich. Junge Erwachsene versammelten sich am Freitagabend in der Innenstadt, eine Gruppe warf Steine und Molotow-Cocktails auf Polizisten. Zwei Personen wurden verletzt, 21 vorübergehend verhaftet. Schon vor einer Woche kam es nach einer illegalen Party zu Ausschreitungen. Was entfacht diese Wut der Jugendlichen? Die beiden Jungpolitiker Anna Miotto (Juso) und Joel Mäder (Jungfreisinnige) geben Auskunft.
SRF News: Wie erklären Sie sich die Vorfälle?
Anna Miotto: Ich glaube, da war sehr viel Wut dabei. Wut darauf, dass wir immer noch eingesperrt sind und Wut darauf, dass sich die Pandemie wegen des bürgerlichen Krisenmanagements so lange hinzieht. Aber es war meines Wissens auch viel Alkohol im Spiel. Ich glaube, im Unterschied zur vergangenen Woche sind diesen Freitagabend viele Leute auf Aufruf gekommen und wussten, dass es eskalieren kann. Dadurch kamen gewisse Menschen vorbereitet, um bewusst zu randalieren.
Wo verorten Sie den Ursprung dieser Wut?
Joel Mäder: Ich stimme mit Anna Miotto überein, dass es am Krisenmanagement liegt. Für mich ist aber das Bundesamt für Gesundheit und somit auch Bundesrat Alain Berset hauptverantwortlich. Ich denke, die Jugendlichen haben zwei dringende Sorgen derzeit. Da ist zum einen die fehlende Abwechslung vom Alltag.
Der Bundesrat hat es verpasst, langfristige Perspektiven aufzuzeigen.
Viele können nicht verstehen, wie sie jeden Tag mit Hunderten Leuten arbeiten müssen, aber sich in der Freizeit einschränken sollen. Zum anderen liegt es sicher auch an der Perspektivlosigkeit, die momentan herrscht. Man weiss nicht, wie es weitergeht. Ich denke, hier hat es der Bundesrat verpasst, langfristige Perspektiven aufzuzeigen.
Wo leiden Sie unter der Pandemie – wo spüren Sie, dass Sie ihrer Jugend etwas beraubt werden?
Anna Miotto: Ein grosser Punkt für mich ist, dass ich noch nie eine Vorlesung in einem Vorlesungssaal besuchen konnte. Denn von Anfang an startete mein Studium von zu Hause aus im Fernunterricht. Natürlich fehlt auch das Partyfeeling oder nur schon die Möglichkeit, mit den Studienkolleginnen und -kollegen ein Bier trinken zu gehen. Das geht halt momentan alles nur beschränkt.
Joel Mäder: Bei mir ist das Austauschsemester in den USA coronabedingt ins Wasser gefallen. Das war etwas, worauf ich mich während des gesamten Studiums gefreut hatte. Natürlich leiden auch die sozialen Kontakte, an der Uni beispielsweise bei Gruppenarbeiten, wo man sich jetzt nur virtuell treffen kann. Zudem fehlt mir die Möglichkeit, neue Menschen kennenzulernen.
Viele sehen diese Krawall-Bilder und fragen sich: Ist das nicht ein bisschen Jammern auf hohem Niveau? Alle müssen während der Pandemie Kompromisse eingehen.
Anna Miotto: Es ist schon so, dass sich die Jugend verhältnismässig zu dem, was das Risiko für eine Ansteckung ist, stärker einschränken muss. Wir müssen quasi die Jugend pausieren. Das rechtfertigt natürlich diese Krawalle nicht, aber ich finde es falsch, zu sagen, dass es Jammern auf hohem Niveau ist. Wir sind aber nicht die, die in dieser Krise am meisten betroffen sind: Das sind schon klar das Gesundheitspersonal und die Risikopatientinnen und Risikopatienten, die sich schon sehr lange viel stärker isolieren müssen als wir alle.
Wir müssen quasi die Jugend pausieren. Das rechtfertigt aber diese Krawalle nicht.
Joel Mäder: Klar hat eine Gastro-Unternehmerin oder jemand aus der Kulturszene andere Ängste als wir Jugendlichen. Aber wir sind die Bevölkerungsgruppe, die ihren Lebensstil am stärksten einschränken muss. Gerade die Jugend ist die Zeit, in der man neue Sachen erlebt oder auf Reisen geht – und das sind für mich wichtige Schritte in der Entwicklung. Wir Jugendlichen müssen auf vieles verzichten, auf mehr als andere Generationen.
Das Gespräch führte Simone Hulliger.