Kelly G. war ab 1995 im Hof Oberkirch in Kaltbrunn, in der christlichen Privatschule, die damals noch «Domino servite» hiess – «Dienet dem Herrn». Jahrelang hat sie das Erlebte verdrängt, durch den Untersuchungsbericht und den DOK-Film ist das Verdrängte an die Oberfläche gekommen.
Sie haben mich als Lügnerin hingestellt.
Als 12-Jährige sei sie von einem Lehrer, der an der Schule unterrichtet habe, vergewaltigt worden, erzählt sie. Als sie dies der Schulleitung gemeldet habe, «haben sie mich als Lügnerin hingestellt. Der Teufel sei in mir, ich hätte mir das alles nur ausgedacht».
Kelly G. wird danach von der Schule ausgeschlossen. Über die Vergewaltigung spricht sie jahrelang nicht. «Wenn man immer wieder sagt, welches Unrecht einem angetan wurde und es wird einem nicht geglaubt, dann schweigt man irgendwann.»
Sexuelle Übergriffe seien toleriert worden
Kelly G. ist nicht die Einzige, die sagt, dass sie vergewaltigt wurde. Im Untersuchungsbericht, den die Schule selbst in Auftrag gegeben hat, ist die Rede von weiteren mutmasslichen Tätern und Opfern. Eine Betroffene schildert, dass sie von Missionaren vergewaltigt worden sei, eine andere berichtet von einer Vergewaltigung durch einen Mitschüler.
Im Bericht steht zudem, dass jahrelang auf sexuell grenzüberschreitendes Verhalten einer Lehrperson hingewiesen worden sei, aber niemand reagiert habe. Das nähre den Verdacht, dass dies «von verschiedenen Leitungspersonen gebilligt, toleriert, mitgetragen und jedenfalls nicht beseitigt wurde», schreibt der Verfasser des Berichts.
Auch Kelly G. sagt, von ihrer Vergewaltigung hätten alle vom Leitungsteam gewusst, «auch Jürg Läderach». Das Leitungsteam habe alles jeweils an Sitzungen besprochen, auch sei die gegenseitige Kontrolle und damit das Rapportieren Teil des Systems gewesen.
Läderach streitet erneut ab
Jürg Läderach sagt auf Nachfrage, der Schulrat sei von der Schulleitung jeweils über ausscheidende Schülerinnen und Schüler informiert worden. Der hier geschilderte Hintergrund sei ihm aber nicht bekannt. Läderach wiederholt, er habe «niemals Schülerinnen oder Schüler geschlagen oder misshandelt». Dies hat er auch im Vorfeld des DOK-Films in einer eidesstattlichen Erklärung notariell festgehalten.
«Eine solche Erklärung ist rechtlich gesehen bedeutungslos», erklärt Strafrechtsprofessorin Monika Simmler von der Universität St. Gallen. Ein Notar, der ein solches Schreiben beurkunde, prüfe nicht den Inhalt, sondern einzig die Unterschrift.
Der Fall von Kelly könnte rechtliche Folgen haben: Obwohl die mutmassliche Vergewaltigung über 20 Jahre zurückliegt, könnte sie noch nicht verjährt sein, wie Monika Simmler erklärt: «Ich gehe davon aus, dass die Behörde jetzt ermitteln muss und dies genau abklären wird.»
Täter weist Vorwürfe zurück
Der mutmassliche Täter von Kelly G. weist über seinen Anwalt jegliche Vorwürfe zurück. Das sei eine Geschichte ohne irgendwelche Glaubwürdigkeit oder Beweise. Er unterrichtet heute nicht mehr an der christlichen Privatschule, besucht aber weiterhin regelmässig die Gottesdienste auf dem Hof Oberkirch.
Man lehrt in der Kirche das Thema Vergebung, das Thema zweite Chance.
Die damals Verantwortlichen betonen, dass sie vom Vergewaltigungsvorwurf erst durch die Aufarbeitung durch den Untersuchungsbericht erfahren hätten. Der mutmasslich fehlbare Lehrer unterrichtet nicht mehr an der Schule.
Man müsse klar zwischen einer Schule, an der Minderjährige geschützt werden müssen, und einer Kirche unterscheiden, sagt Markus Baumgartner, Mediensprecher der Schule und Freikirche vom Hof Oberkirch. «Eine Kirche ist offen für alle, sie hat offene Türen, da dürfen alle Menschen kommen. Und es ist auch biblisch: Man lehrt in der Kirche das Thema Vergebung, das Thema zweite Chance.»