2023 war kein gutes Jahr für die römisch-katholische Kirche in der Schweiz. Seit eine nationale Studie der Universität Zürich im September über 1000 Fälle von sexuellem Missbrauch aufgedeckt hat, brodelt es in der Kirche. Zu spüren bekommen das auch diejenigen, die an der Basis der Kirche arbeiten: die Seelsorgerinnen und Seelsorger.
Betroffen und wütend
Als die Missbrauchsfälle bekannt wurden, wagte sich Theres Küng zuerst gar nicht auf die Strasse: «Ich hatte immer das Gefühl, die Leute schauen mich an und denken: ‹Die gehört auch zu denen!›». Theres Küng leitet den Pastoralraum Michelsamt im Kanton Luzern – zu welchem nebst Beromünster noch vier weitere Pfarreien gehören.
Wir helfen wieder auszubaden, was zum ganz grossen Teil Kleriker verursacht haben.
Seit 16 Jahren arbeitet sie in der Kirche. Für sie sei es eine Berufung. Doch die aufgedeckten Missbrauchsfälle machen sie betroffen und wütend. Frauen in der Kirche seien schon immer Lückenbüsserinnen gewesen. Man habe sie immer erst dann eingestellt, wenn es zu wenig Priester und Kleriker gab: «Und jetzt helfen wir wieder auszubaden, was zum ganz grossen Teil Kleriker verursacht haben.»
Trotz des Ärgers, den sie verspürt, bleibt sie pragmatisch: «Man kann das leider nicht ändern, deshalb probiere ich darüber hinwegzuschauen.» Was sie in der Kirche hält: Sie wolle vor Ort für die Leute da sein, mit ihnen ins Gespräch kommen.
Ohnmacht der Situation gegenüber
Ins Gespräch mit den Gläubigen kommt auch Pater Aaron Brunner. Manchmal setze er sich in einer Beiz in Einsiedeln an den Stammtisch. Pater Aaron ist in der Pfarreiseelsorge als Vikar in Einsiedeln unterwegs.
Da bricht eine Welt zusammen.
Einen Umgang mit den neusten Enthüllungen zu finden, sei schwierig für ihn. Er sei in einer Zeit ins Kloster eingetreten und Priester geworden, wo die Kirche einen ganz anderen Status gehabt habe. Sie war für ihn Heimat. «Plötzlich musste ich erfahren, dass die Kirche ein Milieu sein kann, welches so menschenverachtend und zerstörend sein kann. Da bricht eine Welt zusammen.»
Zurzeit brauche es mehr Motivation, das Ordensgewand anzuziehen. Es löse bei den Menschen grössere Emotionen aus als früher. Aber Pater Aaron macht in Einsiedeln gute Erfahrungen. Die Leute seien zwar wütend und traurig, könnten aber unterscheiden zwischen der Kirchenarbeit vor Ort und den jüngst publizierten Geschehnissen.
Es tue ihm zwar weh, aber er habe Verständnis dafür, wenn Menschen aus der Kirche austreten wollen. Auch er hadere ab und zu, sagt Pater Aaron: «Es gibt immer wieder Momente, wo ich den Koffer packen und abhauen möchte.»
Wenn er dann aber abends alles wieder nüchtern anschaue, dann merke er, dass es der falsche Zeitpunkt dafür sei. «Gerade jetzt müssen wir ein Zeichen der Hoffnung und des Trostes setzen.»
Ein stetiger Kampf
Auch Lisa Wieland hat schon daran gedacht, alles hinzuschmeissen. Sie ist Seelsorgerin in der Pfarrei St. Michael in der Stadt Zug. Es sei ein stetiger Kampf, gerade wenn man von Betroffenen höre, welches Leid ihnen zugefügt wurde. Das sei eine grosse Herausforderung.
Die Täter oder Täterinnen dürfen mir den Glauben nicht wegnehmen.
Sie müsse sich immer wieder sagen: «Die Täter oder Täterinnen dürfen mir den Glauben nicht wegnehmen. Das erlaube ich ihnen nicht.»
Lisa Wieland, Pater Aaron und Theres Küng: Drei Menschen, die einen Umgang damit suchen, dass die Reputation der römisch-katholischen Kirche durch das Bekanntwerden der Missbrauchsfälle gehörig erschüttert wurde. Eines sagen sie alle: Die Begegnungen mit den Menschen an der Basis gäben ihnen genügend Kraft, weiterzumachen.