China will eine Weltmacht sein. Die Pandemie habe diese Tendenz noch verstärkt, schreibt der Nachrichtendienst des Bundes (NDB). Zum selben Schluss kommt Alt-Botschafter Daniel Woker. Er war der erste Direktor des Genfer Zentrums für Sicherheitspolitik.
China rüste auf, auch propagandistisch, sagt Woker: «An der Spitze stehen ein starker Mann und eine starke Partei. Sie sind die einzigen, die bei einer solchen Katastrophe effizient tätig sein können.» Die chinesische Führung wolle so der Welt die Vorteile eines autoritären Systems zeigen.
Lagebericht des Bundes
Deshalb trete die chinesische Führung gegen innen und aussen aggressiver auf, sagt Woker. Das zeige sich auch darin, dass China Journalisten ausweise. «Ich nehme an, dass es eine Frage der Zeit ist, bis auch Journalisten aus Ländern wie der Schweiz ausgewiesen werden. Weil sie eben Sachen schreiben, die den Tatsachen entsprechen – die aber dem Regime nicht passen.»
Es darf nicht sein, dass man auch nur den Anschein erweckt, dass man an den Hof des Kaisers geht, um seine Aufwartung zu machen.
Was bedeutet dieses Machtstreben Chinas für die Schweiz? Die Schweiz will, wie sie selbst sagt, «sehr gute» Beziehungen zu China pflegen. Die Schweiz ist stolz, dass sie im Gegensatz zur EU ein Freihandelsabkommen abgeschlossen hat. Und die Schweiz beteiligt sich am sogenannten Seidenstrassen-Projekt quer durch Europa, durch den Nahen Osten und Asien.
Der Nachrichtendienst des Bundes sieht das alles weniger schönfärberisch als die offizielle Schweiz. Chinas Spionagetätigkeit sei eine Bedrohung für die Schweiz, schreibt er im Bericht:
«Aktivitäten chinesischer Nachrichtendienste zeigen sich nicht nur in der Stationierung von Nachrichtendienstoffizieren unter diplomatischer Tarnung, sondern auch und besonders unter nichtoffizieller Tarnung. Dies betrifft Offiziere, die als Forscher, Studenten, Touristen oder Geschäftsleute auftreten.»
Mit Spionage an Hochschulen und in Unternehmen will sich China die Vormachtstellung in der Wirtschaft sichern. Zudem überwacht der chinesische Geheimdienst in der Schweiz die uigurische Gemeinschaft und die Tibeterinnen und Tibeter.
Robusteres Auftreten gegenüber China
Deshalb kritisiert Alt-Botschafter Woker auch die Besuche der Schweizer Bundesräte in Peking, so wie letztes Jahr als der damalige Bundespräsident Ueli Maurer mit einer Delegation auf Staatsbesuch in China war: «Es darf nicht sein, dass man auch nur den Anschein erweckt, dass man an den Hof des Kaisers geht, um seine Aufwartung zu machen.»
Der Nachrichtendienst des Bundes warnt, es könne bald sein, dass sich die Loyalitätsfrage stelle. Gehört die Schweiz zum Westen oder zum chinesischen Einflussgebiet? Der Nachrichtendienst spricht von «Normenräumen»:
«Kleine, offene Volkswirtschaften wie die schweizerische werden vermehrt vor die Wahl gestellt werden, sich für einen Normenraum zu entscheiden.»
Der ehemalige Botschafter Woker findet, die Beziehungen zu China müssten überdacht werden: «Es ist wahrscheinlich ein Risiko geworden. Nicht primär, weil wir uns verändert haben – sondern weil China sich verändert hat.»
Diese Skepsis ist auch im Bundesrat angekommen. Aussenminister Ignazio Cassis hat in einem Interview im Sommer gesagt, die Schweiz müsse ihre Interessen und Werte gegenüber China robuster vertreten. Ende Jahr will das EDA eine neue China-Strategie präsentieren.