Cornelio Sommaruga war eine auffällige Persönlichkeit: Zunächst nahm man die markante Brille zur Kenntnis, die kehlige Stimme, die imposante Gestalt. Aber ebenso die Überzeugungen, den Elan, das Charisma und den Charme des Tessiners.
Zwölf Jahre lang, drei Amtszeiten lang, von 1987 bis 1999, war er der Patron des IKRK. Durchaus kein unumstrittener. Zumal er auf eine ganze Reihe blasser Führungsfiguren folgte, deren Namen vergessen sind.
Aus einer Diplomatenfamilie stammend und später selbst einer der bekanntesten Handelsdiplomaten der Schweiz, machte Sommaruga nach seinem Rücktritt als Staatssekretär in Bern das Humanitäre zu seinem Anliegen.
«Das Rote Kreuz hat mich befallen wie ein Virus», sagte er in einer Dokumentation des IKRK: «Loslassen kann man dann nicht mehr.» Es gehe dabei darum, «die Welt aus der Perspektive der Opfer zu sehen».
Ein schreckliches Jahrzehnt
Zwei Jahre nach Sommarugas Amtsantritt in Genf fiel die Berliner Mauer. Darauf folgte in der Dritten Welt keine Phase des Friedens, sondern der blutigen Kriege, «ein schreckliches Jahrzehnt», so Sommaruga.
Ruanda, Burundi, Srebrenica, Tschetschenien, Liberia, die Intifada im Nahen Osten ... das IKRK war an allen Fronten gefordert und wuchs unter Sommarugas Ägide stark. Gleichzeitig modernisierte und öffnete er die Organisation.
Helfen, aber auch Opfer vermeiden
Anders als seine Vorgänger verzichtete er auf Leisetreterei, sondern nahm politisch Stellung. Er positionierte gegen externe und interne Widerstände das IKRK als massgeblichen Akteur für das internationale Abkommen für ein Landminen- und später für ein Streubombenverbot.
Auch für einen Internationalen Strafgerichtshof setzte sich das IKRK ein. Aus der Überlegung heraus, «dass eine humanitäre Organisation nicht nur den Opfern helfen muss, sondern beitragen muss, um Opfer zu vermeiden und die Schuldigen zu verurteilen».
Die verschlossenen Archive
Sommaruga liess zudem jahrzehntelang verschlossene Archive öffnen. So wurde die unrühmliche, von Übervorsicht und Feigheit geprägte Rolle der Organisation gegenüber dem Nazi-Regime publik, etwa in einem Dossier der Wochenzeitung «Die Zeit» mit dem Titel «Tödliches Schweigen am Genfersee».
Auch nach seinem Abgang beim IKRK blieb Sommaruga präsent. Er wurde Präsident des Genfer Zentrums für Entminung, engagierte sich für die UNO-Blauhelmtruppen, für die Soros-Stiftung und 2020 als gewichtige Stimme für die Konzernverantwortungsinitiative. Noch vor wenigen Jahren traf man ihn in Genf regelmässig auf Veranstaltungen – einen Grandseigneur, der kritische Fragen stellte und feste Überzeugungen vertrat.