Seit Wochen herrscht eher kühles und vor allem nasses Wetter in der Schweiz – und nach mehreren Wochen Trockenheit sieht es derzeit nicht aus. SRF Meteo rechnet schon fürs kommende Wochenende wieder mit womöglich kräftigen Regengüssen. Laut dem Berner Geologen Flavio Anselmetti sind weitere Murgänge deshalb nicht ausgeschlossen.
SRF News: Können die Böden in der Schweiz überhaupt noch weiteren Regen aufnehmen?
Flavio Anselmetti: Das ist sehr unterschiedlich. Gewisse Böden sind wegen der starken Regenfälle in den letzten Tagen bereits komplett gesättigt. Je mehr Regen dort jetzt noch fällt, desto instabiler werden die Böden. Wasser füllt sämtliche Poren im Boden, das Ganze kann sich deshalb in Bewegung setzen.
Weitere Regenfälle sind der Stabilität der Hänge sicher nicht zuträglich.
Bereits ist es ja zu diversen Hangrutschen gekommen. In anderen Regionen kann der Boden durchaus noch Wasser aufnehmen. Alles in allem sind weitere Regenfälle der Stabilität der Hänge sicher nicht zuträglich, man wird mit weiteren Murgängen rechnen müssen.
Was bedeutet das für die betroffenen Regionen?
Das Ganze hängt mit der Naturgefahren-Planung zusammen. Es gibt für jede Region Pläne und Modelle, welche Hänge instabil werden können, wie die Gewässer reagieren, wie sich die Murgänge ausbreiten würden. Bei der höchsten Gefahrenstufe muss man sich also auf alles vorbereiten, denn durch starke Niederschläge kann es zu Kettenreaktionen kommen: Bergstürze können weiter unten Murgänge auslösen.
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Am vergangenen Wochenende ging es laut Augenzeugen jeweils sehr schnell, als Wasser und Geschiebe kamen. Wie kann vorhergesagt werden, welche Hänge und Orte konkret gefährdet sind?
Die Naturgefahren-Experten arbeiten mit numerischen Modellen, die ihnen zeigen, wie sich wassergesättigtes Material oder wie sich Murgänge in den Tälern ausbreiten. Das sind natürlich bloss Modelle, die auf Wahrscheinlichkeiten beruhen. Und wenn sehr viel Regen auf gewisse Hänge fällt, kann dies die Modell-Annahmen überschreiten.
Man wird nie jedes Ereignis voraussehen können.
Man wird also kaum je eine absolute Sicherheit haben, und nie jedes Ereignis genau voraussehen können. Aber man kann die Wahrscheinlichkeiten angeben, mit welcher Intensität ein solches Ereignis ein Tal beeinflusst.
Solche Erdrutsche werden mit dem extremeren Wetter infolge des Klimawandels immer häufiger. Wie können wir uns dagegen wappnen?
Man muss immer aufpassen, vom Einzelereignis auf den Klimawandel zu schliessen – man muss auf die Häufigkeit und Intensität der einzelnen Ereignisse schauen. Es ist aber klar, dass die globale Erwärmung – davon sind auch die Weltmeere betroffen – zu mehr Wasser in der Atmosphäre führt.
Wegen der globalen Erwärmung wird man die Niederschlagsintensitäten in den Modellen nach oben korrigieren müssen.
Damit können Starkregen-Ereignisse intensiver werden. Für die Naturgefahren bedeutet das, dass man die Niederschlagsintensitäten und -mengen in den Modellen nach oben korrigieren muss.
Und wie kann man sich den sich verändernden Bedingungen am besten anpassen?
Möglich sind bauliche Massnahmen, wie etwa die Vergrösserung der Kapazität von Rückhaltebecken für Murgänge. Allerdings ist das im alpinen Gelände mit wenig Platz oftmals schwierig. Und wenn die Intensität eine gewisse Schwelle überschreitet, nützen womöglich auch bauliche Massnahmen nichts mehr.
Das Gespräch führte Silvia Staub.