Die Schweiz soll eigenständig Sanktionen verhängen dürfen, unabhängig davon, was die EU oder die UNO machen. So hat es der Nationalrat im Sommer entschieden. Nun gibt der Ständerat Gegensteuer – und dürfte sich durchsetzen. Damit wird die traditionelle, passive Rolle der Schweiz in der Sanktionspolitik weitgehend bewahrt. Dafür sorgen die Mitte-Ständeräte, gegen den Willen ihres Parteipräsidenten.
Nach dem Ausbruch des Kriegs in der Ukraine diskutierten Politikerinnen und Politiker in der Schweiz emotional darüber, ob der Bundesrat alle wirtschaftlichen Strafmassnahmen gegen Russland übernehmen soll. Inzwischen scheint es fast schon courant normal zu sein, dass die Schweiz neue Sanktionspakete der EU übernimmt.
Mitte-links Allianz zerfällt im Ständerat
Nationalräte und Nationalrätinnen von Mitte-links sahen deshalb die Zeit gekommen für ein eigenständiges Schweizer Sanktionsregionsregime. Im Juni schrieben sie eine neue Bestimmung ins Embargogesetz, das die Sanktionen regelt: Bei schweren Verletzungen des Völkerrechts oder Menschenrechtsverletzungen soll der Bundesrat künftig eigenständig Sanktionen ergreifen können. Diese Bestimmung hat der Ständerat nun wieder gestrichen.
Das ist insofern konsequent, als dass der Ständerat schon letzten Sommer eigenständige Schweizer Sanktionen abgelehnt hat. Doch Nationalräte von der SP bis zur Mitte hofften, dass der Ukraine-Krieg die Mehrheitsverhältnisse verändert hat. Denkbar wäre dies gewesen, zumal Mitte-Präsident Gerhard Pfister im Frühjahr klar für eigenständige Schweizer Sanktionen ausgesprochen hat und keine Partei im Ständerat so stark ist wie die Mitte.
Doch was Pfister und seine Fraktion im Nationalrat entschlossen vertreten haben, stellt Mitte-Ständerat Pirmin Bischof nun als gefährliche Änderung dar: Er argumentiert, die Schweiz wäre Druckversuchen von Grossmächten ausgesetzt, wenn sie selbständig Sanktionen ergreifen würde. Zudem sei ihre Neutralität bedroht. Auch die anderen Mitte-Ständeräte und Ständerätinnen stellen ihre Grundsatzbedenken über die Parteibindung.
Ein Kompromiss scheint fern
Auch in anderen Fragen gab es in dieser Legislatur schon Abweichungen bei Positionen der Mitte im National- und Ständerat: Etwa, wenn es um die Geschäftsmieten während der Coronakrise ging oder um einen Vorstoss in der Asylpolitik zur Beendigung der Berufslehre in der Schweiz. Doch diesmal weichen die Ständeräte in einer Frage ab, bei der sich ihr Parteipräsident aktiv für eine Gesetzesänderung eingesetzt hatte. Das ist auch deshalb ungewöhnlich, weil Pfister als bürgerlicher Mitte-Vertreter gilt – und die meisten Mitte-Ständeräte ebenfalls im rechten Spektrum der Partei anzusiedeln sind.
Ein Kompromissvorschlag erscheint so gut wie unmöglich. Denn es handelt sich nicht um semantische Differenzen. Soll die Schweiz eigenständige Sanktionen ergreifen dürfen, kommt dies einem Paradigmenwechsel gleich. Alles deutet darauf hin, dass der Nationalrat einlenken muss - zumindest, wenn er verhindern will, dass die ganze Vorlage abstürzt.
Bei einem Scheitern ginge auch die zweite Gesetzesänderung verloren, die es dem Bundesrat erlauben würde, bestehende Sanktionen auf weitere Staaten auszuweiten. Und das wird der Nationalrat kaum riskieren. Mit dem heutigen Entscheid bleibt die Mitte zwar Mehrheitsmacherin – ihre Ständeräte katapultieren den eigenen Parteipräsidenten aber in die Minderheit.