Für die neunte Klasse im Hochfeld-Schulhaus in Bern und für ihren Klassenlehrer Andrea Ceschia hat das Thema Berufswahl zurzeit Hochkonjunktur. «Meine Klasse ist in der Bewerbungsphase.» Alle würden sich bewerben, vorstellen und Schnupperlehren absolvieren.
«Einzelne sind in der glücklichen Lage, dass sie eine Lehrstelle zugesagt hätten, aber die Betriebe sich noch Zeit lassen mit dem definitiven Abschliessen des Lehrvertrages», sagt der Lehrer.
Informieren in der Achten, entscheiden in der Neunten
So sollte es eigentlich sein, ist auch die Meinung der Fachleute aus der Berufsbildung und der Sozialpartner. Für die Schülerinnen und Schüler, die nicht ins Gymnasium gehen, sondern eine Lehre beginnen wollen, sollte die berufliche Orientierung im achten Schuljahr beginnen – mit Schnuppertagen, mit dem Besuch von Infotagen oder Ausbildungsmessen, mit vielen Gesprächen.
Im neunten Schuljahr sollte es dann konkret werden: Eine Lehrstelle auswählen und einen Lehrvertrag unterschreiben. Und nicht schon vorher. Künftig soll der 1. August der Stichtag sein, um Lehrstellen auszuschreiben, also rund ein Jahr vor Lehrbeginn. Darauf haben sich die Schweizerische Berufsbildungsämter-Konferenz, der Arbeitgeber- und der Gewerbeverband sowie die Gewerkschaften geeinigt.
Es braucht eine gewisse Zeit, um eine gute Lehrstelle zu finden und eine Wahl zu treffen.
Für Christophe Nydegger vom freiburgischen Berufsbildungsamt ist das Ziel klar: «Es braucht eine gewisse Zeit, um eine gute Lehrstelle zu finden und eine Wahl zu treffen. Es ist sehr wichtig, dass sich alle Partner Zeit nehmen.»
Denn das ist heute nicht immer der Fall. Im Schnitt können nur neun von zehn Lehrstellen besetzt werden. Die guten Schulabgängerinnen und -abgänger sind umkämpft, die Unternehmen beginnen zum Teil schon früher, Lehrverträge abzuschliessen, wie der Berner Lehrer Andrea Ceschia aus Erfahrung weiss.
Vor allem Betriebe, die mehr Mühe hätten, einen passenden Kandidaten oder eine passende Kandidatin zu finden, würden eine passende Person packen und fixieren. «Auch wenn das vor den Sommerferien ist», so Ceschia.
Das sei im Einzelfall auch kein Problem, aber in der Regel seien die Achtklässlerinnen und Achtklässler noch nicht bereit, einen Lehrvertrag zu unterschreiben. «Einzelne müssen sich zum Beispiel nach einem negativen Entscheid zum Gymnasiumsübertritt neu orientieren.»
Schüler und Lehrbetriebe profitieren gleichermassen
Die neue Selbstverpflichtung der Sozialpartner und der Berufsbildungsbehörden dürfte nun also mithelfen, den Schülerinnen und Schülern genügend Zeit zu geben für die Berufswahl. Davon würden auch die Unternehmen profitieren, sagt Christophe Nydegger. Auch wenn sie zum Teil länger zuwarten müssten, bis sie ihre Lehrstellen besetzen könnten.
«Es gibt vielleicht keinen idealen Zeitpunkt. Aber auch für Lehrbetriebe ist es wichtig, dass die Jugendlichen sich ihre Wahl gut überlegen. So würde es weniger Lehrabbrüche geben.» Denn im Schnitt wird ein Viertel der Lehrverhältnisse vorzeitig aufgelöst. Solche Lehrabbrüche sind oftmals eine Belastung für die Unternehmen – und für die Lernenden.