Auch in der Medizin hat die künstliche Intelligenz – die KI – Einzug gehalten. Am stärksten in der Radiologie. Hier hilft die künstliche Intelligenz zum Beispiel, aufgrund von CT-Aufnahmen schneller eine exakte Diagnose zu stellen.
Thomas Frauenfelder, Direktor des Instituts für Radiologie am Universitätsspital Zürich, sagt, die KI helfe vor allem bei Routineaufgaben, in Bereichen mit vielen Daten. Er demonstriert das anhand von Bildern der Lunge eines Tumor-Patienten.
Das sind alles Hilfen, die ermöglichen, dass ich mich auf das Wesentliche und die komplexen Aufgaben konzentrieren kann.
Die KI-Software hat die 380 Bilder des Computertomografen innerhalb von fünf Minuten bearbeitet und alles, was für die Analyse irrelevant ist, herausgerechnet. Der Radiologe sieht darum auf einen Blick, dass sich in der Lunge ein Knoten, ein sogenannter Lungenrundherd, befindet – ein klarer Hinweis auf Metastasen in der Lunge.
Frauenfelder vergleicht die KI in der Radiologie mit den vielen Assistenzsystemen in modernen Autos: «Das sind alles Hilfen, die ermöglichen, dass ich mich auf das Wesentliche und die komplexen Aufgaben konzentrieren kann.»
Hälfte der Studien stammen aus China
Die KI boomt in der Medizin. Diesen Boom hat Kerstin Noëlle Vokinger, Professorin für Recht und Medizin an der Universität Zürich, untersucht. In einer Studie, die demnächst im renommierten New England Journal of Medicine erscheinen wird – und bereits online veröffentlicht ist – hat sie alle klinischen Studien weltweit, die seit 2010 publiziert wurden, zu KI-gestützten Medizinprodukten untersucht.
Dabei stellt sie fest, dass fast die Hälfte aller Studien aus China stammt (45 Prozent) und dass fast alle Studien (97 Prozent) nur in einem einzigen Land durchgeführt werden. Das könne heikel sein, sagt Vokinger zur «Tagesschau».
Denn, wenn zum Beispiel eine KI-Software einzig mit chinesischen Patientinnen und Patienten trainiert worden sei, könne sie unter Umständen zu falschen Resultaten führen, wenn sie bei nicht-chinesischen Patienten eingesetzt werde: «Bevölkerungsgruppen können unterschiedliche Risikofaktoren und Merkmale haben für bestimmte Erkrankungen. Ein konkretes Beispiel ist die Diagnose von Hauttumoren. Wir haben unterschiedliche Hauttypen. Und wenn ein solches KI-Medizinprodukt auf Patienten, mit dem einen Hauttyp trainiert wurde, dann aber auf Patienten mit einem anderen Hauttyp angewendet wird, kann das zu anderen und sogar zu falschen Ergebnissen führen.»
KI-Regulierung ist eine Gratwanderung
KI in der Medizin hat also nicht nur Vorteile, sondern auch Risiken. Vokinger fordert darum, die Schweiz müsse bei solchen KI-Produkten von den Herstellern verlangen, transparent auszuweisen, wie die Produkte trainiert worden seien. Kritisch sieht Vokinger hingegen die Idee einer eigenen Zertifizierung für medizinische KI-Produkte.
Zum einen müssen wir die Patientensicherheit gewährleisten. Anderseits wollen und müssen wir Innovation fördern in unserem Land.
Die KI-Regulierung sei eine Gratwanderung: «Zum einen müssen wir die Patientensicherheit gewährleisten. Anderseits wollen und müssen wir Innovation fördern in unserem Land. Auf jeden Fall ist es wichtig, dass sich die Schweiz mit der Frage, wie sie KI regulieren will und soll, auseinandersetzt. In unserer Studie sehen wir ja auch: voraussichtlich kommt eine grosse Zahl solcher Produkte gerade auch aus anderen Ländern auf den Markt.»
Bisher hat die Schweiz keine spezifische Regulierung von KI-Medizinprodukten und wartet ab, was diesbezüglich die EU und die USA unternehmen. «Wir haben heute schon die Chancen, aber auch die Risiken. Insofern wäre es gut, wenn die Schweiz hier vorwärtsmachen würde», mahnt Vokinger.