Die neugewählten Parlamentarier haben in Bern ihre Arbeit aufgenommen. Jeweils zu Beginn einer Legislatur werden die bedeutenden Kommissionssitze vergeben. Politikwissenschaftler Claude Longchamp über die begehrten Plätze und die Vor- und Nachteile des «Schweizer Arbeitsparlaments».
SRF News: Jedes Mal, wenn Kommissionen neu zusammengesetzt werden, kommt es zu kleinen oder grösseren Dramen. Warum?
Claude Longchamp: Das sind persönliche Dramen. Der 200-köpfige Nationalrat hat etwa 280 Kommissionssitze zu vergeben. Wer zwei Kommissionen bekommen kann, kann sich ein bisschen als Elite währen. Wer nur eine bekommt, der ist Normalvolk. Bekommt man nicht seine Wunschkommission, könnte man sich zurückgestuft fühlen.
Im Nationalrat gab es dieses Jahr einen besonders grossen Andrang in die Umwelt-Kommission, nicht nur von den Grünen. Ist die Klimadiskussion im Parlament angekommen?
Alle wissen, dass das CO2-Gesetz ansteht, aber es wird nicht dabei bleiben. In den nächsten vier Jahren wird es viele Themen geben, die Umweltrelevant sind. Da kann man sich gut profilieren und es spielt zweifelsfrei eine Rolle, dass die Kommission aufgewertet worden ist.
Wir haben kein britisches Unterhaus, wo fast täglich debattiert, gestritten und argumentiert wird.
Bei der FDP wurde der freisinnige Luzerner Peter Schilliger, bisheriger Leader der Fraktion, der auch in der Kommission sass, abgewählt. Für die Partei ist das die Chance einer Neuorientierung.
Laut einer Studie beruhen im Nationalrat 94 Prozent der Entscheide auf Vorschlägen, die in der Kommission gemacht wurden. Relativiert das die Bedeutung des Parlaments?
Zweifelsfrei. Wir haben kein britisches Unterhaus, wo fast täglich debattiert, gestritten und argumentiert wird. Wir haben ein Arbeitsparlament. Die Arbeit wird wie in Deutschland und den USA im Wesentlichen in Kommissionen gemacht. Man hat das eingeführt, weil man hoffte, die sachliche Diskussion weitertreiben zu können. Man wollte das Parlament stärken, dadurch hat sich die Plenumsdebatte geändert. Sie ist vor allem für die Medien und die Öffentlichkeit relevant, aber die entscheidende Vorarbeit wird in den Kommissionen geleistet.
Das Schweizer System ist auf Kompromisse ausgelegt. Die Kommissionen spielen bei dieser Kompromissfindung eine Hauptrolle. Funktioniert das gut?
Der wesentliche Unterschied zwischen Kommission und Parlament ist, dass die Kommission einfach ein verkleinertes Abbild des Parlamentes ist. Aber in den Kommissionen gibt es keine Öffentlichkeit. Es gibt keinen freien Zugang der Medien, wie das beim Parlament der Fall ist und das hilft bei der Suche nach Kompromissen, hat aber – wie die letzten 25 Jahre aufgezeigt haben – auch einen Nebeneffekt gehabt.
Auch die Lobbyisten mögen es, wenn sie Zugang zu den Parlamentariern einer Kommission haben und sie bearbeiten können. So hat dieses System Vor- und Nachteile, höchstwahrscheinlich ist diese Nichtöffentlichkeit für die Kompromissfindung in der Schweiz immer noch mehrheitlich ein Vorteil.
Das Gespräch führte Gion-Duri Vincenz.