Lena Sutter arbeitete zwölf Jahre als Hebamme. Zuerst in der Frauenklinik des Universitätsspitals in Bern, dann freiberuflich. Ihr gefiel die Arbeit, doch sie spürte auch Zweifel. «Als freiberufliche Hebamme ist man immer auf Abruf», so Sutter. Sie wollte nicht bis zur Pensionierung so weiterarbeiten.
2017 schrieb sie sich für den neu geschaffenen Masterstudiengang für Hebammen ein. Dieser wurde von der Berner Fachhochschule und der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) ins Leben gerufen.
Im Masterstudiengang habe ich gelernt, übergeordnet wissenschaftlich zu denken und zu argumentieren.
Nun, drei Jahre später, erhält Lena Sutter als eine der ersten Schweizer Hebammen ein Masterdiplom. Im Masterstudiengang habe sie gelernt, übergeordnet wissenschaftlich zu denken und zu argumentieren, so Sutter.
Sie kann ihr Wissen aus der Theorie auch gleich in die Praxis umsetzen. Bereits während des Studiums begann sie ihre Arbeit als Hebammenexpertin in der Frauenklinik des Berner Inselspitals.
Ankämpfen gegen veraltete Vorstellungen
«Viele Menschen haben veraltete Vorstellungen des Hebammenberufs», sagt Eva Cignacco. Sie ist Leiterin des Masterstudiengangs für Hebammen an der Berner Fachhochschule. «Viele glauben, die Hebamme würde nach der Geburt nach dem heissen Wasser schreien, damit man das Kind baden kann», sagt Cignacco. Der Hebammenberuf beinhalte aber viel mehr. Und die Fragestellungen in der Geburtshilfe würden immer komplexer, weil viele Frauen immer älter sind bei der Geburt.
Viele glauben, die Hebamme sei diejenige, die nach der Geburt nach dem heissen Wasser schreit.
Das Problem in der Schweiz sei, dass es kaum wissenschaftliche Studien aus der Perspektive der Hebammen gebe. Die Konsequenzen davon musste Eva Cignacco persönlich erfahren. Als sie als junge Hebamme auf Wunsch der gebärenden Frau einen Dammschnitt verhinderte, wurde sie zunächst vom behandelnden Arzt belehrt. In ihrer Freizeit trug sie wissenschaftliche Studien aus dem Ausland zusammen und konnte belegen: Ein standardisierter Dammschnitt ist nicht gerechtfertigt.
Im Rahmen des Masterstudiums können Hebammen spezifische Bereiche der Geburtshilfe vertiefen. Eva Cignacco findet deshalb: «Der Masterstudiengang ist ein ganz wichtiger Meilenstein für den Hebammenberuf.»
Droht Verakademisierung?
Aber führt das Masterstudium nicht zu einer Verakademisierung eines Berufes, der vor allem praktisch ausgerichtet ist? «In der Schweiz gibt es rund 2500 praktizierende Hebammen», so Cignacco. Bei zwölf Master-Absolventinnen sei es deshalb übertrieben, von einer Verakademisierung zu sprechen. «Zudem stelle ich fest, dass die Gefahr der Verakademisierung ausschliesslich bei Frauenberufen gestellt wird», sagt Cignacco.
Was aber ist mit Hebammen, die keinen akademischen Abschluss haben? Eine davon ist Verena Piguet. Sie hat ihre Ausbildung vor Jahren an einer Hebammenschule abgeschlossen. Piguet führt in Steffisburg im Kanton Bern eine Gruppenpraxis für Hebammen und ist Präsidentin der Berner Sektion des Schweizerischen Hebammenverbandes. «Ich muss gestehen, zu Beginn hatte ich Bedenken, dass das Pendel zu fest in Richtung Akademisierung schlägt», sagt Piguet.
Schlussendlich sei sie jedoch davon überzeugt, dass die Masterausbildung für die ganze Berufsgruppe grosse Vorteile bringt. Denn: «Wenn in einem Spitalteam eine Hebamme mit Masterstudium mitdiskutiert, die sich auf wissenschaftliche Studien berufen kann, dann erhöht das die Behandlungsqualität.»