Das ist passiert: Die meisten Asylsuchenden reisen ohne Ausweis ein – gemäss Schätzungen aus Deutschland und der Schweiz die überwiegende Mehrheit. Bei rund der Hälfte der Asylsuchenden können Bundesasylzentren die Identität nicht zweifelsfrei feststellen. Um dem entgegenzuwirken, ist nun nach jahrelangem Ringen ein angepasstes Asylrecht in Kraft getreten: Der Bund darf ab sofort Handys von Asylsuchenden auswerten.
Die Änderungen: Neu kann das Staatssekretariat für Migration (SEM) Handydaten auswerten, wenn sich die Identität, die Nationalität oder der Reiseweg von Asylsuchenden nicht auf andere Weise feststellen lassen. Dafür durchsucht das SEM das Handy, insbesondere auf Adressen, Telefonnummern, Ton- und Bildaufnahmen und Navigationsdaten. «Man darf grundsätzlich alles anschauen», sagt SEM-Sprecherin Magdalena Rast. In jedem Fall müsse aber eine Notwendigkeits- und Verhältnismässigkeitsprüfung vorgenommen werden. Es besteht kein Zwang, das Handy auszuhändigen.
Die Handyauswertung: Fachspezialistinnen und -spezialisten des SEM sichten ab dem 1. April Handydaten von Asylsuchenden zunächst im Rahmen einer dreimonatigen Testphase in den beiden Bundesasylzentren in Basel und Chiasso. Während dieser Testphase überprüfen sie die Datenträger von Hand, wie SEM-Sprecherin Rast erklärt. Später werde das aber eine Software tun. Findet ein Spezialist etwas Relevantes, wird es im Asyldossier integriert. Relevante Daten können laut dem «Beobachter» für den Verlauf des Asylprozesses, maximal aber bis zu einem Jahr gespeichert werden. Die betroffenen Asylsuchenden können während der Sichtung, Auswertung und Speicherung ihrer Handydaten dabei sein. Eine Rechtsvertretung kann bei der Bearbeitung der Personendaten anwesend sein.
Die Erfahrungen der Schweiz: Der Bund hat vor acht Jahren in den zwei Bundesasylzentren Vallorbe VD und Chiasso TI Pilotprojekte auf freiwilliger Basis durchgeführt. In 15 Prozent der Fälle fanden die Behörden nützliche Hinweise auf Identität oder Reiseweg. Die Durchsuchung der Smartphones von Hand dauerte im Schnitt 16 Minuten.
Das Problem der Mitwirkungspflicht: Zwar besteht beim Herausrücken des Handys kein Zwang. Faktisch sind Geflüchtete aber laut Asylgesetz «verpflichtet», ihre Datenträger herauszugeben, wenn das SEM dies als notwendig erachtet. Die Asylsuchenden dürften die Herausgabe zwar verweigern, sagt SEM-Sprecherin Magdalena Rast, räumt aber auch ein: «Es ist ganz klar so, dass das als Verletzung der Mitwirkungspflicht verbucht wird.» Das könne zu einem ablehnenden Asylentscheid führen.
Die Kritik: Für Miriam Behrens, Direktorin der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, ist die Massnahme des Bundes unverhältnismässig, zu teuer, von geringem Nutzen und ein «riesiger Eingriff in die Privatsphäre». Im Strafrecht beispielsweise müsse ein schwerwiegender Tatbestand und ein Verdacht vorliegen, damit man Handydaten auswerten dürfe. Sie fordert, dass die Handyauswertung restriktiv angewendet und den Asylsuchenden genügend Zeit bei der Beschaffung von Dokumenten gegeben werden solle.
So geht es weiter: Nach der Evaluation der dreimonatigen Testphase ist die Einführung in allen sechs Bundesasylzentren mit Verfahrensfunktion vorgesehen. Nach drei Jahren wird das Parlament darüber befinden, ob das Vorhaben fortgeführt wird.
Mitarbeit: Detlev Munz