Die Schweiz hat mit Marco Sieber seit Mittwoch einen neuen Astronauten. Er wird von der Europäischen Raumfahrtagentur Esa ausgebildet. Der frühere Direktor des International Space Science Instituts in Bern, Rudolf von Steiger, sieht in Astronauten und Astronautinnen vor allem Identifikationsfiguren für die Menschen.
SRF News: Wie wichtig sind Astronautinnen und Astronauten für die Wissenschaft, also für die Erkundung des Weltalls?
Rudolf von Steiger: Ich sehe hier zwei Aspekte. Einerseits ist es wichtig, dass die Schweiz einen Esa-Astronauten oder eine -Astronautin hat, weil die Schweiz Esa-Gründungsmitglied ist. Diese Mitgliedschaft ist von fundamentaler Bedeutung für die Schweizer Wissenschaft. Wir erinnern uns alle an unseren Nationalhelden Claude Nicollier, der eine sehr wichtige Rolle gespielt hat und immer noch spielt.
Astronauten stören nur. Sie rütteln an der Raumstation, wollen atmen, essen und trinken.
Die Tatsache allerdings, dass es Astronauten im erdnahen Weltraum oder bis zum Mond gibt, halte ich für die Wissenschaft nicht von erstrangiger Bedeutung. Ein Grossteil der Wissenschaft wird mit unbemannten Weltraumsonden gemacht. Astronauten stören da nur. Sie rütteln an der Raumstation, wollen atmen, essen und trinken. Das ist alles legitim, aber bringt der Wissenschaft relativ wenig und behindert sie zuweilen sogar. Deshalb halte ich die Präsenz von Astronauten im Weltraum für die Wissenschaft für wenig hilfreich.
Kann man denn so weit gehen und sagen, die Wissenschaft im Weltraum käme ohne Astronauten aus?
Das ist überspitzt ausgedrückt. Aber ich hätte die Tendenz, dieses Statement so gelten zu lassen. Natürlich, Claude Nicollier hat das Weltraumteleskop geflickt. Aber für die Kosten der Shuttlemissionen, mit denen Nicollier gereist ist, hätte man zwei, drei oder vier Teleskope in den Weltraum schiessen können. Es ist eine Kosten-Nutzen-Rechnung.
Astronauten werden dafür schnell Publikumslieblinge. Für die Publicity ist das ein Segen.
Das ist völlig richtig. Nicollier ist ein Nationalheld, und sein Nachfolger wird das sicher auch werden. Der Goodwill, den Astronauten generieren, ist nie wirklich quantifiziert worden. Aber der Effekt ist nicht von der Hand zu weisen und völlig legitim.
Es geht also darum, dass die Leute sich mit Astronauten identifizieren und über diese auch Wissenschaft und Raumfahrt besser versteh- oder erfahrbar gemacht werden?
Absolut korrekt. Das würde ich voll unterschreiben.
Astronautinnen und Astronauten werden oft als Abenteurer und Wissenschaftler gesehen. Das ist nicht ganz richtig, oder? Sie sind ja vor allem Ausführende, die das machen, was ihnen Wissenschaftler mitgeben.
Die ersten Astronauten waren alle Testpiloten. Das waren wirklich Abenteurer. Sie haben dank ihres beherzten Handelns Missionen gerettet. Es spielte auf jeden Fall eine wichtige Rolle, dass es Menschen waren, die mit der Technik gut vertraut waren.
Bei Auswahlverfahren stehen Fähigkeiten wie Teamfähigkeit im Vordergrund.
Das hat sich stark geändert. Bei Auswahlverfahren von Astronauten stehen ganz andere Fähigkeiten im Vordergrund. Vor allem natürlich die Teamfähigkeit, denn es ist nicht einfach, in der Raumstation mit sechs Kollegen zu leben. Auch Empathie und andere Fähigkeiten spielen heute eine viel grössere Rolle. Ich würde nicht sagen, dass Astronautinnen einfach Ausführende sind. Sie müssen sehr viel autonom machen können. Heute ist das Auswahlverfahren primär auf solche Eigenschaften fokussiert und weniger auf ihre Eignung als Abenteurer.
Das Gespräch führte Christian von Burg.