Manche Demenzkranke bewegen sich von ihrem Pflegeheim weg, erinnern sich aber nicht mehr an den Rückweg und gehen verloren, die Angehörigen machen sich verständlicherweise Sorgen. Wegen solcher Situationen werden Heime für Demenzerkrankte oft zwar mit Umschwung versehen, aber eingezäunt.
So kann niemand weglaufen, das Pflegepersonal muss niemanden suchen. Gehört diese Art der Betreuung der Vergangenheit an? Ein neues Solothurner Demenzzentrum in Balsthal setzt auf ein ganz anderes Konzept. Angelehnt an den Alltag im holländischen Demenzdorf «De Hogeweyk» hat der Lindenpark in Balsthal für 37 Millionen Franken ein Alters- und Pflegeheim gebaut.
Das Zentrum besteht aus zwei Wohngebäuden und einem Hauptgebäude. Integriert sind Bistro, Coiffeur, Aktivierungsraum, Gemeinschaftsraum und weitere Räume. 12 Wohngruppen für 76 Menschen mit Demenz sind nach zwei Jahren Bauzeit nun bezugsbereit.
Sechs Personen teilen sich jeweils eine Wohnung, mit Wohn- und Esszimmer, Küche, Terrasse. Das Restaurant mit Gartenwirtschaft ist öffentlich, das Zentrum ist nicht am Rand des Dorfs, sondern mittendrin gebaut.
Einsperren ist vorbei
Die Philosophie des Solothurner Lindenparks basiert darauf, dass mit dem Betreuungskonzept der Alltag von Menschen mit Demenz so normal wie möglich gestaltet wird. Demente Menschen, die besonders bewegungsfreudig sind, werden mit einem GPS-Sender ausgestattet und werden so im Notfall wieder gefunden.
Trotzdem sind die Wege kurvig statt gerade angelegt, was den Bewohnenden entgegenkommt. «So kann man die Weglaufproblematik grösstenteils verhindern», weiss André Grolimund von der Genossenschaft für Altersbetreuung und Pflege Gäu, der Besitzerin des Lindenparks.
Im Lindenpark lässt man Langschläfer am Morgen ausschlafen, die Mitarbeitenden tragen keine Berufs-, sondern Alltagskleider, Jeans und T-Shirt anstelle von weissen Kitteln.
Wir wollten keinen Spitalmief.
Auch ein WC sucht man direkt im Schlafzimmer vergebens. Wie bei einer normalen Wohnung ist es ein separates Zimmer. «Genau das, was wir kennen, wollten wir abbilden. Auch einen Handlauf haben wir nicht. Wir wollten keinen Spitalmief oder Spitalgroove. Es soll wie eine normale Wohnung sein», sagt Projektleiter Patrick Scarpelli.
Die Bewohnenden können bei der Vorbereitung der Mahlzeiten helfen, wenn sie möchten, oder mithelfen beim Bepflanzen der Hochbeete. Das Essen kommt in Töpfen auf den Tisch, jede und jeder bestimmt somit selbst, wie viel sie oder er essen möchte. Ein Alltag wie zu Hause, vor der Erkrankung. Das Ziel sei eine vertraute Umgebung, weil Demenzkranke durch neue Situationen gestresst werden, sagen die Verantwortlichen.
Demenzkranke integrieren statt aussondern, freie Gehwege statt Zäune rund um die Heimanlage – man habe viel dazugelernt, auch in der Pflege, sagt Pflegedienstleiterin Barbara Schenker. «Wenn wir ständig nein sagen, Demente korrigieren, werden sie gestresst und aggressiv», weiss die Fachfrau. Deshalb erlaube man auch für uns schräge Situationen, wenn eine Bewohnerin den Tisch mit Sirup «putzt», zum Beispiel. «Wir können das zehn Minuten später ja wegwischen, kein Problem.»
Das neuartige Konzept scheint aufzugehen. Das Demenzzentrum Balsthal wird am Dienstag eröffnet und bis Ende Jahr voll ausgelastet sein. Ein Ausbau wäre möglich, es hätte noch Platz für weitere Wohnungen.