Der chinesische Ministerpräsident Li Qiang ist auf offiziellem Besuch in Bern. Der genaue Inhalt der Gespräche zwischen den Delegationen Chinas und der Schweiz ist nicht bekannt. Aus Sicht des Politikwissenschaftlers Laurent Goetschel ist der Austausch wichtig für die Schweiz. Und der zeitgleiche Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski berge die Möglichkeit einer Sensation, sagt er.
SRF News: Wie schätzen Sie die Bedeutung des offiziellen Besuchs aus China für die Schweiz ein?
Laurent Goetschel: Es ist der Besuch des Premierministers einer der grössten Weltmächte. Das ist per se eine Ehre für die Schweiz und setzt sie auf die Agenda der internationalen Diplomatie.
Was bedeutet der Besuch für die internationale Positionierung der Schweizer Aussenpolitik?
Für die Schweizer Aussenpolitik ist es eine Möglichkeit, sich international zu präsentieren. Es interessiert, wo der chinesische Premierminister zu Besuch ist und worüber er spricht, vor allem, wenn es um Handelsfragen geht. Dass er extra nach Bern kommt, ist sicher ein Plus für das Ansehen von der Schweiz und ihrer Diplomatie.
Wie schätzen Sie die Stimmung zwischen China und der Schweiz ein?
Die Beziehung zwischen der Schweiz und China ist intakt. Nach der Veröffentlichung der Chinastrategie der Schweiz gab es gewisse Diskussionen. Davor gab es noch viel mehr Diskussionen – im Vergleich dazu ist die Stimmung heute auf jeden Fall besser.
Warum kommt der Besuch gerade jetzt?
Einerseits findet das World Economic Forum in Davos statt, andererseits steht auch die Möglichkeit und der Wunsch der Schweiz im Raum, das Freihandelsabkommen mit China zu erweitern. Man spricht seit einiger Zeit über diese Frage. Das zu kombinieren, ist für beide Seite sinnvoll.
Auch der ukrainische Präsident reist nach Bern. Welche Bedeutung hat das?
Das hat natürlich an sich eine grosse Bedeutung. Die beiden Besuche am selben Tag lassen natürlich Spekulationen aufkommen über ein allfälliges Zusammentreffen dieser hohen Politiker. Sie werden nicht gleichzeitig in Bern sein, aber in Davos. Wer weiss, vielleicht werden sie sich dort treffen. Das wäre sicher eine kleinere Sensation.
Es ist selten, dass zwei so hochrangige Personen so zeitnah hier zu Besuch sind.
Was bedeuten beide offizielle Besuche aus China und der Ukraine für die Schweizer Aussenpolitik?
Damit kann sich die Schweiz global politisch sehr gut positionieren. Es ist selten, dass zwei so hochrangige Personen so zeitnah hier zu Besuch sind.
Überwiegen die Chancen oder die Risiken?
Für mich überwiegen immer die Chancen von solchen Besuchen. Die Risiken erachte ich als relativ gering. Bei der Ukraine geht es darum, die Beziehungen zu festigen, aber auch um die mögliche Rolle der Schweiz in Bezug zu allfälligen Friedensverhandlungen in der Zukunft.
Kann die Schweiz ihre Position als neutralen Staat stärken, mit den guten Diensten, die er anbietet? Oder verliert diese Rolle international an Bedeutung?
Man hat in der Schweiz die Tendenz, sich entweder sehr wichtig zu nehmen in Bezug auf die guten Dienste oder man macht sich manchmal kleiner als nötig. Letztere Tendenz hat in den vergangenen Wochen und Monaten überwogen.
Die Besuche und der Austausch sind eine Chance für die Schweiz, sich wieder stärker einzubringen. Ich bin positiv eingestellt, dass sich die Schweiz in Zukunft und noch mehr mit ihren guten Diensten in diesem Krieg zwischen der Ukraine und Russland einbringen kann.
Das Gespräch führte Mirjam Spreiter.