Vor einem Jahr war die Schweiz mit bunten Parteifarben tapeziert. Das galt nicht nur «offline» für Wahlplakate, sondern auch online. Parteien und Kandidierende posteten fleissig Beiträge auf Plattformen der sozialen Medien. So wirkte es zumindest und auch die Medien berichteten über den Online-Wahlkampf.
Doch für Fabrizio Gilardi, Politikwissenschaftler an der Universität Zürich, haben sich die Erwartungen nicht erfüllt. Er hat in der seiner Medienstudie 2019 den Wahlkampf untersucht.
Es habe zwar Aktionen von Parteien gegeben, etwa von der CVP. Sie hatte bei Google-Suchanfragen nach Kandidierenden anderer Parteien Negativwerbung geschaltet. «Der Online-Wahlkampf hält sich noch in Grenzen, weil die Kandidatinnen und Kandidaten selbst nicht so stark mitmachen», sagt Gilardi.
Nur wenige sind professionell unterwegs
Laut der Medienstudie hatte die Mehrheit der über 4500 Kandidierenden zwar ein persönliches Facebook-Profil. Aber nur 261 hatten eine eigene Facebook-Seite, die es braucht, um Werbung schalten zu können. Viele waren also wenig professionell unterwegs.
Das überrascht Daniel Jörg nicht. Er ist zuständig für Digitalmarketing bei der Kommunikationsagentur Farner Consulting. Die meisten Kandidierenden versuchten, nach bestem Wissen das Maximum in den sozialen Medien herauszuholen. Dies gelinge jedoch mehrheitlich nicht, sagt Jörg: «Das ist, als hätten sie ein Auto, das 200 km/h fahren kann und sie fahren drei Stundenkilometer». Professionelles Online-Marketing sei ein Vollzeit-Job. Den Milizpolitikern fehle aber schlichtweg die Zeit.
Online-Wahlkampf oft inhaltsleer
Wie Fabrizio Gilardi weiter herausfand, drehte der Online-Wahlkampf oft um sich selbst: «Auf Facebook hatten über drei Viertel aller Beiträge keine spezifischen Themen oder Inhalte, sondern es ging um Wahlen und Mobilisierung.»
Die eigenen Inhalte interessant zu präsentieren, sei eine grosse Herausforderung, meint Daniel Jörg: «Viele Politiker haben zwar Meinungen und Positionen, aber sie wissen nicht genau wie sie diese Positionen immer wieder neu erzählen sollen.» In einem Wahlkampf müsse man dies über Monate hinweg tun.
Zu hohe Erwartungen
Werber Daniel Jörg findet, die Vorstellungen seien überzogen, was man alles mit sozialen Medien in der Schweizer Politik erreichen könnte. Das Bild in der Schweiz sei geprägt von den USA, wo soziale Medien auch im Nachrichten-Bereich viel wichtiger seien.
Zudem sei Werbung kein Wundermittel, sagt Jörg: «Ich kann mit Werbung nichts herbeizaubern. Ich kann mit Werbung keinem überzeugten Autogegner ein Auto verkaufen.» Es brauche eine Affinität, die man stärken kann, sei es für einen Kandidaten, eine Partei oder ein Thema.
Kandidierende sind (noch) Social-Media-Muffel
Die sozialen Medien haben zwar die Berichterstattung über den Wahlkampf geprägt, den Wahlkampf selbst aber noch kaum. Es sei zu erwarten, dass dies bei den kommenden Wahlen wichtiger werde, meint Politologe Gilardi. Aber: «Die ganze Landschaft verändert sich sehr schnell.»
Es entstünden laufend neue Plattformen wie etwa TikTok. Die Schweizer Politik nehme diese nur langsam auf, was man bei Instagram habe sehen können. Instagram habe aber bei den Wahlen 2019 nur eine sehr untergeordnete Rolle gespielt. «Wenn ich wirklich eine Prognose machen müsste, sagte ich, dass TikTok nicht das Riesending sein wird in drei Jahren in der Schweizer Politik.»