Auch wenn es auf Facebook locker aussieht, dahinter steckt oft harte Knochenarbeit. Noch vor zehn Jahren geisterte in der Politik die Idee herum, Social Media seien ein günstiger und einfacher neuer Weg, um Wähler zu gewinnen. Heute zeigt sich: grosser Irrtum. Zwar sind Social Media tatsächlich ein lohnender Kanal für Politiker – jedoch ist dieser weitaus aufwändiger und zeitraubender als etwa eine Inserate-Kampagne. Wer über Instagram, Facebook oder Twitter Politwerbung machen will, muss im Kampf um wenige Sekunden Aufmerksamkeit enormen Aufwand betreiben.
Alleine kaum zu bewältigen
Wie viel Arbeit dahinter steckt, zeigt etwa das Beispiel Cédric Wermuth. Der SP-Nationalrat war einer der ersten Parlamentarier, die über Social Media Politkampagnen ausrollten. Heute kann er im Wahlkampf seine Social Media-Kanäle nicht mehr alleine bedienen: Im Hintergrund helfen ein gutes halbes Dutzend Leute. Sie machen Bilder, setzen Wermuth-Zitate grafisch um, beantworten Kommentare und Mails. «Es wäre heute unmöglich, alle Kanäle selber zu bewirtschaften, täglich kommen sicher 150 Nachrichten rein», sagt Wermuth. «Mir ist aber wichtig: Nur wenn ich ein Mail oder Social Media-Post selber beantworte, unterschreibe ich mit Cédric – antwortet jemand aus meinem Team, machen wir das transparent.»
Kein Geheimrezept für gute Inhalte
Welche Inhalte auf Social Media gut funktionieren und welche nicht, da gibt es auch für Politiker kein Geheimrezept. Laut dem ZHAW-Professor für Organisationskommunikation, Peter Stücheli-Herlach, bleibt auch Politikern nichts anderes übrig, als mit dem neuen Medium zu experimentieren. Was für die eine Person funktioniere, könne bei der anderen fehlschlagen. «Genau dieses Experimentieren, mal einen Shitstorm ernten und danach wieder aufstehen, braucht extrem viel Zeit und Kraft.»
Jeder Politiker muss seinen eigenen Medienmix finden.
Trotzdem könne sich der Aufwand für Politiker lohnen und Stimmen bringen. Aber nur jenen, deren Zielpublikum auch tatsächlich auf sozialen Medien aktiv ist. Zielt ein Politiker etwa auf ein älteres und wenig Internet-affines Publikum, kann er auch 2019 noch immer getrost auf Social-Media verzichten. «Jeder Politiker muss seinen eigenen Medienmix finden», sagt Stücheli-Herlach. Um Plakate und Live-Auftritte komme heute trotz Social Media kaum ein Politiker herum.
Wer auf Social Media erfolgreich sein wolle, müsse sich die extreme Verkürzung und die bildlastige Sprache aneignen, sagt Stücheli-Herlach. Um im Wettbewerb von hunderten und hunderttausenden Posts aufzufallen, müssten auch Politiker laut werden. «Weil jeder noch einen drauf geben muss, führt dies zu Übertreibungen, Alarmismus und Verunglimpfungen.» Die für amerikanische Verhältnisse konzipierten sozialen Medien brächten somit einen neuen, lauten Stil in die Schweizer Politik, der so gar nicht zur Schweizer Demokratie passe, die auf Gesprächen und Kompromissen basiere.
Ständige Präsenz gefordert
«Noch vor acht Jahren hat sich der Social-Media-Wahlkampf definitiv nicht gelohnt», blickt Politiker Wermuth zurück. «Heute hat sich das geändert.» Sämtliche Parteien schulen heute ihre Kandidaten in Social Media. Dort wird aber auch gelehrt, dass sich über Social Media alleine keine Volksnähe herstellen lässt: Politiker kommen auch heute nicht darum herum, sich im realen Leben eine Wählerbasis aufzubauen. Und: Nur wer sich über Jahre hinweg eine Gefolgschaft aufbaut, kann vor den Wahlen auf diese zurückgreifen und an neue Wähler gelangen.