Österreich will eine generelle Impfpflicht einführen. Wäre ein solcher Schritt auch in der Schweiz möglich? Nein, sagt Kerstin Noëlle Vokinger, Professorin für Öffentliches Recht an der Universität Zürich. Zumindest vom rechtlichen Standpunkt aus gesehen.
SRF: Warum ist es ausgeschlossen, dass in der Schweiz eine Impfpflicht eingeführt wird?
Kerstin Noëlle Vokinger: Eine staatlich angeordnete generelle Impfpflicht oder ein Impfzwang ist in der Schweiz nicht möglich. Er wäre rechtswidrig, weil dafür eine gesetzliche Grundlage fehlt – der Staat braucht eine solche Grundlage, damit er entsprechend handeln und Massnahmen anordnen kann. Zudem sieht man auch in den Materialien, die im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses entstanden sind: Dort wird explizit erwähnt, dass ein Impfzwang rechtswidrig ist.
Wäre es denn anders, wenn jetzt eine Notlage herrschen würde? Hätte der Bundesrat dann mehr Kompetenzen, um eine Impfpflicht einzuführen?
Zwar hat der Bundesrat bei einer Notlage mehr Kompetenzen. Aber das Gesetz sieht auch dort vor, dass ein genereller Impfzwang nicht rechtmässig wäre, weil eben die gesetzliche Grundlage fehlt.
Kann bestimmten Berufsgruppen eine Impfpflicht vorgeschrieben werden?
Es gibt die Möglichkeit, weitere Massnahmen vorzusehen: Dass beispielsweise Personen, die exponiert sind, ihre Arbeit verlagern, d.h. andere Arbeiten durchführen müssten – oder je nachdem auch das unterlassen müssten. Wir haben durchaus Massnahmen im Gesetz.
Wie erklärt sich denn, dass es Firmen gibt, die eine Impfpflicht eingeführt haben, zum Beispiel die Swiss für das Flugpersonal?
Das Recht unterscheidet grundsätzlich zwischen dem Staat, der handelt, und Privaten, die handeln. Wenn der Staat handelt, braucht er für die Legitimation seiner Tätigkeit eine gesetzliche Grundlage. Diese ist nicht notwendig bei Privaten. Entsprechend haben Private mehr Möglichkeiten. Deshalb kann ein privat organisierter Arbeitgeber auch mehr Massnahmen ergreifen als der Staat.
Das Gespräch führte Mirjam Fuchs.