Nie seit dem Zweiten Weltkrieg gab es so viele kriegerische Konflikte wie gerade jetzt. Darunter sind Grosskrisen wie in der Ukraine, in Gaza, in Äthiopien, im Sahel oder im Sudan. Wegen des Klimawandels häufen sich zudem die Naturkatastrophen. Die humanitäre Not ist gross, doch die Mittel, um sie zu lindern, sind begrenzt.
Das spürt die UNO, die eben erst einen stark reduzierten Spendenappell für 2024 veröffentlicht hat. Nicht der Finanzbedarf sinkt, aber die Hoffnung, dass die benötigten Gelder zusammenkommen. Deshalb werden nun Hilfsprogramme zusammengestrichen. Massiv betroffen ist ebenfalls das IKRK, die führende humanitäre Organisation. Inzwischen steht auch fest, wie viele Arbeitsplätze dort wegfallen: nämlich 4000, also ein Fünftel des Bestandes.
Rückbesinnung auf die Wurzeln
Da reicht es nicht, überall ein bisschen wegzunehmen. Es braucht eine neue Strategie. Das IKRK stellte sie heute vor. Es geht darin auch um eine Rückbesinnung auf die Wurzeln. Das IKRK ist die Hüterin der Genfer Konventionen, die das humanitäre Kriegsvölkerrecht festschreiben. Diese Aufgabe kann einzig das neutrale Rote Kreuz wahrnehmen. Andere Hilfsorganisationen haben dafür kein Mandat.
Der Schutz der Zivilbevölkerung, die Vermittlungsrolle und Gefangenenbesuche erhalten daher wieder alleroberste Priorität. Dazu gehören Gespräche und Verhandlungen mit allen Akteuren in einem Konflikt, also auch mit Milizen- und Guerillaführern und Vertretern von Terrororganisationen. Zentral in der Strategie 2024 bis 2027 ist, den bei vielen Kriegsakteuren bröckelnden Respekt für die Genfer Konventionen wiederherzustellen. Nur wenn das gelingt, geniesst das IKRK-Personal im Feld Schutz.
Nothilfe statt langfristige Hilfe
Weiterhin will das IKRK auch Nothilfe leisten. Es dürfte weiterhin oft die erste Hilfsorganisation sein, die dank ihrer logistischen Möglichkeiten und Erfahrung Hilfe leisten kann – und wird häufig als letzte abziehen, wo keine sinnvolle Arbeit mehr möglich ist. Unweigerlich kann aber auch das IKRK – genauso wie die UNO – bei weitem nicht länger allen helfen, die Hilfe benötigen. Am schärfsten ist der Einschnitt dort, wo das IKRK langfristige Hilfe leistet. Da zieht man sich zurück und überlässt das Feld Entwicklungshilfeorganisationen oder Staaten – in der Hoffnung, dass sie in die Bresche springen.
Die neuen, bescheideneren Ziele sind alles andere als frei gewählt. Doch die Chancen, bald wieder alles tun zu können, was man tun möchte und müsste, werden am Genfer IKRK-Sitz als äusserst gering eingeschätzt. Es fehlt an Geld – und das dürfte so bleiben. Obschon die Not weltweit so gross ist wie lange nicht mehr.