Wer sich als Gemeinderätin oder Gemeinderat engagiert und viel Gratisarbeit leistet, soll neu ein Zertifikat dafür erhalten. Das schlagen die Schweizer Kader Organisation und der Schweizerische Gemeindeverband vor. Damit wollen sie politisches Engagement im Milizsystem wieder attraktiver machen.
So können im Zertifikat bis zu zehn Kernkompetenzen, etwa Personalführung oder Verhandlungstechnik, gegen einen Betrag belegt werden. In der Romandie gibt es solche Zeugnisse bereits seit 2015. Eine sinnvolle Sache, findet der Politologe Markus Freitag, der an der Universität Bern zum Schweizer Milizsystem forscht.
Mehr als die Hälfte der Schweizer Gemeinden berichtet von Schwierigkeiten, genügend Personal für Milizämter zu finden.
Es sei ein «Schritt in die richtige Richtung, um die Probleme des Milizsystems zu beheben», so Freitag. Es gebe eine «Angebotskrise»: Die Zahl der Menschen, die sich in der Schweiz nebenberuflich für ein politisches Amt bewerben, nimmt stetig ab. «Mehr als die Hälfte der Schweizer Gemeinden berichtet von Schwierigkeiten, genügend Personal für Milizämter zu finden.»
Die Zahl des Nachwuchses nimmt auch ab, weil die Bedeutung von Lokalparteien, die lange als «Mobilisierungsagenturen» gewirkt haben, schrumpfe, erklärt der Politikwissenschaftler. Als Folge unter anderem des Personalmangels nehmen deshalb Gemeindefusionen in der Schweiz zu, um Kräfte zu bündeln.
Neben dem Zertifikat schlägt der Gemeindeverband auch vor, mit einer politischen Bildungsoffensive gegen den Personalmangel in der Lokalpolitik vorzugehen. «Es ist unumgänglich, in die politische Bildung zu investieren», findet Freitag. «Es geht um die Sensibilisierung für einen Grundpfeiler unserer Demokratie.» Auch ein Schulfach in politischer Bildung einzuführen, wie dies der Kanton Aargau bereits besitzt, sei eine sinnvolle Massnahme.
Einen Anreiz mit Geld zu schaffen, also Gemeinderäten einen Lohn zu bezahlen, werde wohl kaum die Lösung sein, sagt Freitag: «Es entkernt das Milizsystem vom Grundgedanken der ehrenamtlichen Arbeit. Man würde die Politik zum Beruf machen und nicht mehr aus Berufung. Das ist nicht in allen politischen Lagern angesehen.»
Die Milizarbeit zu teilen, indem Stellvertreter eingeführt werden, löst das eigentliche Problem auch nicht: Zwar sei das Amt dann besser mit Beruf und Familie zu vereinbaren, doch es benötigt wiederum mehr Personal, das demokratisch legitimiert und bei den politischen Ansichten deckungsgleich sein müsste.
«Wir haben einen Zeitgeist, der von Selbstverwirklichung, Flexibilität und der Ungebundenheit lebt. Das Milizwesen fordert aber Gemeinwohlorientierung, Regelmässigkeit und Verpflichtung ein», sagt Freitag. Es gebe einen bunten Strauss an Massnahmen, um dieses Spannungsfeld zu lösen. Auch eine Initiative zur Etablierung einer Dienstpflicht steht im Raum. Für Freitag steht fest: «Eine Massnahme allein wird das Milizsystem nicht retten können.»