Was ist der Auslöser für die aktuelle Diskussion um die flankierenden Massnahmen? Der Thinktank Avenir Suisse kommt in einer am Donnerstag veröffentlichten Studie zum Schluss, in der Schweiz bestehe eine wachsende Bereitschaft zu staatlichen Eingriffen ins Lohngefüge. Avenir Suisse stellt dabei infrage, ob ein starker Lohnschutz, wie sie etwa die flankierenden Massnahmen im Zusammenhang mit der Personenfreizügigkeit darstellen, wirklich den Arbeitnehmenden zugutekommt. Denn der Erfolg der Schweizer Wirtschaft sei nicht dem Lohnschutz zu verdanken, sondern vielmehr dem liberalen Arbeitsmarkt und den traditionellen Sozialpartnerschaften.
Welche Massnahmen empfiehlt Avenir Suisse? Die flankierenden Massnahmen sollen keinesfalls verschärft und mittelfristig sogar abgeschafft werden. Dass die Firmen grenzüberschreitend Dienstleistungen erbringen können (sogenannte Entsendungen), sei klar als Vorteil und nicht als Gefahr zu werten, gerade in Zeiten von Mangel an Fachkräften. Weiter solle der Staat nicht noch mehr in die Lohnbildung der Sozialpartner eingreifen. Auch für die Armutsbekämpfung seien staatliche Eingriffe in die Lohnbildung das falsche Instrument.
Welche Argumente führt Avenir Suisse für die Empfehlungen ins Feld? Die Angst vor Lohndruck und einer weiteren Öffnung der Lohnschere durch die Personenfreizügigkeit sei ungerechtfertigt gewesen. So seien etwa die tiefsten Löhne zwischen 2008 und 2020 genau wie jene der Bestverdienenden, um 12 Prozent gestiegen. Zudem würden Kurzaufenthalter aus Europa lediglich ein Prozent des Schweizer Arbeitsvolumens leisten. Auch sei die Bedeutung der Entsendung für den Schweizer Arbeitsmarkt gering, sagt Marco Salvi, Ökonom bei Avenir Suisse und Mitautor der Studie. «Nur 0.2 Prozent der geleisteten Arbeitsstunden geht auf die Entsendung zurück. Das wird in der politischen Debatte verkannt.»
Entsendungen seien keine Konkurrenz für den Schweizer Arbeitsmarkt, sondern eine Ergänzung: Sie würden vor allem in Bereichen wachsen, die boomen. Langfristig seien die flankierenden Massnahmen zudem kontraproduktiv, vor allem für die Tieflöhne. Denn: «Die Löhne stiegen, wenn die Wirtschaft produktiver wird. Und nicht wegen Schutzmassnahmen», sagt Salvi.
Was sagen die Betroffenen zu den Empfehlungen? Mit der Forderung nach einer Abschaffung der flankierenden Massnahmen steht Avenir Suisse ziemlich alleine da. Nicht einmal der Arbeitgeberverband hat dafür Gehör: «Das System des Lohnschutzes hat sich in der Schweiz bewährt. Es ist wichtig, dass bei Firmen, die Arbeitnehmende in die Schweiz entsenden, auch kontrolliert werden kann, dass sie Schweizer Arbeitsbedingungen einhalten», sagt Roland A. Müller, Direktor des Arbeitgeberverbands.
Auch wenn die Arbeitsleistung von Firmen, die ihre Arbeitnehmenden in die Schweiz entsenden, tatsächlich überschaubar sei, seien die flankierenden Massnahmen vor allem für KMUs wichtig. «Schweizer KMUs könnten sonst verdrängt werden, wenn sie mit sehr günstigen Firmen aus dem Ausland konkurrieren müssen», so Müller. Das sollte weiterhin mit flankierenden Massnahmen verhindert werden.