Der Staatsrechtler Felix Uhlmann platzierte während den Sommerferien eine Provokation. Er bezeichnete die Vernehmlassungsvorlage des Bundesrates in der «WOZ» als «Ermächtigungsgesetz». Ein Begriff, der durch die Nationalsozialisten historisch vorbelastet ist.
Zwar schwächte der Bundesrat seine ursprüngliche Vorlage des Covid-19-Gesetzes dann ab. Der Professor für Staatsrecht an der Uni Zürich würde sich vielleicht auch nicht mehr so äussern, wie er selber sagt.
Aber in der Sache bleibe Kritik: Das Covid-19-Gesetz ermächtige den Bundesrat in zahlreichen Bereichen, sehr weitreichende Entscheide zu fällen: «In unserem System ist diese Ermächtigung nicht vorgesehen. Die Idee ist, dass das Parlament – wenn die unmittelbarste Dringlichkeit vorbei ist – selbst entscheidet.»
«Das Gesetz beinhaltet neun Formulierungen im Stil von ‹Der Bundesrat kann›. Es legt aber zu wenig materiell fest, was wirklich entschieden werden soll.» Wenn das Gesetz diese Fragen einfach weiter delegiere, sei das problematisch, so Uhlmann: «Grundsätzlich ist es Aufgabe des Parlaments, alle wichtigen Fragen selbst zu entscheiden.»
Das Parlament stärke mit dem Gesetz nochmals die Kompetenzen des Bundesrates, statt die eigene Mitsprache, kritisiert auch Markus Schefer, Professor für Staatsrecht an der Uni Basel.
«Der Gesetzesentwurf enthält keine Bestimmungen darüber, wie das Parlament eingebunden werden kann. In der gegenwärtigen Situation scheint es mir das wichtigste Anliegen, dass die Bundesversammlung in die Prozesse miteingebunden wird», so Schefer. Daraus ergebe sich erhöhte demokratische Legitimität.
Wird Verfassung geritzt?
Daneben kritisiert Uhlmann einen zweiten Punkt. Es geht um die Voraussetzungen, wann der Bundesrat Notverordnungen erlassen kann. Die Verfassung verlangt eine Notsituation; das sei mit dem vorliegenden Gesetz aber abgeschwächt.
Darin stehe nur, dass der Bundesrat von den Befugnissen Gebrauch machen könne, so weit das für die Bewältigung der Covid-19-Epidemie notwendig sei, fasst Uhlmann zusammen. «Respektive, etwas böse formuliert, so weit der Bundesrat der Auffassung ist, dass es überhaupt noch notwendig ist. Das scheinen mir leichtere Voraussetzungen der Wahrnehmung solcher Notrechtskompetenzen, die nicht mit dem übereinstimmen, was die Verfassung vorgibt.»
Wie kommt diese Kritik im Parlament an?
Auch SP-Ständerat Paul Rechsteiner äusserte sich während des Vernehmlassungsverfahrens kritisch und sprach von einer «staatspolitischen Fehlentwicklung mit unabsehbaren Folgen.»
Nachdem der Bundesrat die Vernehmlassungsvorlage aber abgeschwächt hat, indem er etwa die Gültigkeitsdauer des Gesetzes verkürzte, und nachdem sich die federführende Sozialkommission während Stunden mit dem neuen Gesetz beschäftigt hat, sagt deren Präsident Rechsteiner: «Das Parlament könnte schon Nein sagen. Das wäre aber nicht im Interesse der Bevölkerung.»
Das Gesetz soll dafür sorgen, dass die Hilfen im sozialen, aber auch im kulturellen und medialen Bereich nicht in sich zusammenfallen.
Denn: «Es ist ein pragmatisches Gesetz auf befristete Zeit. Es soll dafür sorgen, dass die Hilfen und Massnahmen vor allem im sozialen, aber auch im kulturellen und medialen Bereich nicht in sich zusammenfallen», so Rechsteiner.
Das bringt die Grundproblematik auf den Punkt: Ein Politiker wird sich gut überlegen müssen, das vorliegende Gesetz abzulehnen, weil er so tausende von Menschen sich selbst überlassen würde.