Es ist das Jahr der Frauen. Noch nie kandidierten so viele für das eidgenössische Parlament wie im Wahljahr 2019. Doch wie steht es um die Frauen in National- und Ständerat? Und als wie gut beurteilen sie die Vereinbarkeit des politischen Mandats mit Beruf und Familie?
Die «Rundschau» hat alle Parlamentarierinnen dazu befragt. 60 der 69 National- und Ständerätinnen haben teilgenommen. Die Umfrage zeigt: Die Vereinbarkeit ist für viele schwierig. Und linke Politikerinnen empfinden sie als schwieriger als bürgerliche.
Kinderlos oder erwachsene Kinder
75 Prozent aller befragten Frauen im Parlament haben erwachsene Kinder oder sind kinderlos. Mit 25 Prozent in der Minderheit sind Frauen mit minderjährigen Kindern. Noch seltener sind Kinder im Vorschulalter. Und die Kinder sind ungleichmässig verteilt:
Die grosse Mehrheit (86 Prozent) der bürgerlichen Frauen (alle Parteien ausser SP und Grüne) sind kinderlos oder haben erwachsene Kinder. Minderjährige Kinder haben lediglich 14 Prozent. Bei den Linken dagegen haben 40 Prozent minderjährige Kinder.
Bürgerliche: Politik kommt nach der Familie
Politikerin sein ist kein Vollzeitjob. Bedingt durch das Milizsystem gehen viele Frauen nebst dem politischen Mandat zusätzlich einer Erwerbstätigkeit nach. Doch die «Rundschau»-Umfrage zeigt, gerade Frauen aus dem linken Lager empfinden es als schwierig, neben Familie und Politik noch einem Beruf nachzugehen.
Während bei den Bürgerlichen über 80 Prozent der Frauen berufstätig sind, sind es bei SP und Grünen nur 45 Prozent. Auffallend ist: Frauen aus beiden Lagern arbeiten selten mehr als 50 Prozent.
Wie gut gelingt es den Parlamentarierinnen die einzelnen Lebensbereiche unter einen Hut zu bringen? Auch hier sind die Frauen nach politischen Lagern gespalten. Insgesamt geben 60 Prozent der befragten Frauen an, die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Politik funktioniere gut.
Die Vereinbarkeitsfrage wird jedoch von den bürgerlichen Frauen positiver bewertet als bei den Linken. Bei SP und Grünen sagen nur 45 Prozent, es funktioniere gut. Zudem zeigt sich bei den Volksvertreterinnen aller Parteien: Ohne flexible Arbeitszeiten durch den Arbeitgeber könnten sie nicht zusätzlich auch ein politisches Mandat ausüben.
Gescheiterte Vereinbarkeit?
Die Anforderungen der Parlamentarierinnen im Schweizer Milizsystem sind für viele eine Herausforderung. So sagt eine Nationalrätin: «Heute sind meine Kinder erwachsen. Jetzt funktioniert es gut! Bis es aber so weit war, war die intensive Dreifachbelastung praktisch ein Ding der Unmöglichkeit.»
Eine weitere hält fest: «Es ist eine kleine Zumutung um ehrlich zu sein.» Als Herausforderungen werden Abendtermine, lange Sitzungen, keine Vertretung bei Mutterschutz, die Erreichbarkeit für Medien an Abenden und Wochenenden und unregelmässige Sessions-Zeiten genannt.
Auch Frauen aus dem bürgerlichen Lager bestätigen die grosse Belastung. So sagt eine Vertreterin der FDP: «Die zeitliche Beanspruchung in der Politik ist gross, weshalb die Vereinbarkeit nur bei einer grösstmöglichen Flexibilität des Umfelds – familiär und beruflich – funktioniert.»
Neue Rezepte gefragt?
Für die Präsidentinnen der FDP und CVP Frauen, Doris Fiala und Babette Sigg, sind die Resultate der Umfrage eindeutig. Beide sind der Meinung, dass es eine Illusion sei, Familie, berufliche Karriere und Politik unter einen Hut bringen zu können.
Es brauche neue Rezepte zur Frauenförderung, so Nationalrätin (FDP/ZH) Fiala. «Wir Frauen sind es, die die Kinder gebären und stillen. Wir müssen einmal ehrlich sein.»
Fiala sagt, sie wolle keine Frauen ausschliessen. Sie sei aber der Meinung, eine politische Karriere müsse nicht zwingend mit 25 beginnen. Sie schlägt deshalb vor, insbesondere ältere Frauen für die Politik zu gewinnen. «Wenn wir ganz ehrlich sind, ist der Dreiklang, berufliche Karriere – oder einfach einen Beruf haben – im Parlament sein und noch Kinder aufziehen, fast nicht unter einen Hut zu bringen.»
Ein «Affront» für die Linken
Für die Linken zeigt die Umfrage, dass viel mehr die Rahmenbedingungen angepasst werden müssten, damit die Vereinbarkeit in Zukunft besser gelinge. Die Zürcher Nationalrätin und Geschäftsleitungsmitglied der SP Frauen Schweiz, Min Li Marti, sagt, das Parlament und dessen Organisation basiere auf Strukturen des 19. Jahrhunderts und trage den heutigen gesellschaftlichen Bedingungen keine Rechnung.
Zum Vorschlag von Doris Fiala sagt sie. «Ich bin etwas entsetzt, dass eine Frauenpräsidentin dies sagt. Das wäre völlig gegen unser Milizsystem.» Die Co-Präsidentin der SP-Frauen, Natascha Wey ergänzt: «Bürgerliche Männer können ja auch Kinder haben und Politik machen. Und ich bin der Meinung, es ist die Aufgabe der Politik dafür zu sorgen, dass Frauen mit Kindern – egal ob links oder rechts – Politik machen können.» Die Haltung der Bürgerlichen sei ein Affront gegenüber all jenen Frauen, die heute auf nationaler, kantonaler und kommunaler Ebene Politik, Beruf und Familie unter einen Hut brächten.
Vor dem Hintergrund der Gleichberechtigung müsste es bei den Frauen auch klappen.
Politologin Cloé Jans vom GFS Bern will die Rezepte der Parteien zur Frauenförderung nicht kommentieren. Doch aus der Forschung sei bekannt, dass nur eine politische Kultur, die Frauen explizit fördere, zu mehr Frauen in politischen Ämtern führe. Und zum Anspruch der Linken, die Vereinbarkeit müsse auch für Frauen mit kleinen Kindern und beruflicher Karriere möglich sein, sagt Jans: «Wenn man die Rezepte vor dem Hintergrund der Gleichberechtigung misst, müsste man sagen, wenn es die Männer können, dann müsste es bei den Frauen auch klappen.»