Darf ein in vitro gezeugter Embryo untersucht werden, bevor er in den Mutterleib eingepflanzt wird? Mit dieser heiklen Frage beschäftigte sich zu Beginn der Herbstsession der Ständerat. Und er hat mit 27 zu 18 Stimmen überraschend entschieden: Ja, solche Tests dürfen gemacht werden. Und zwar im grossen Stil.
Der Tourismus zwecks Präimplantationsdiagnostik (PID) war nur eines der Argumente dafür. Denn heute weichen viele Paare für künstliche Befruchtungen zum Beispiel in belgische oder britische Kliniken aus, wo solche Untersuchungen erlaubt sind.
Auch medizinische Gründe sprechen laut der Mehrheit der Ratsmitglieder für das Zulassen des so genannten Aneuploidie-Screenings. Dabei werden Embryos vor der Einpflanzung darauf untersucht, ob zusätzliche Chromosomen vorhanden sind oder welche fehlen. Nach Ansicht der Befürworter könnten viele Schwangerschaftsabbrüche vermieden werden, wenn der Embryo schon vor der Einpflanzung untersucht würde.
Weniger enge Grenzen als der Bundesrat
Vor einem halben Jahr noch hatte der Ständerat viel restriktiver entschieden. Die genetische Untersuchung von Embryos im Rahmen der künstlichen Befruchtung und die Auswahl eines gesunden Embryos sollte nur erblich vorbelasteten Paaren erlaubt werden, entschied er damals. So wollte es auch der Bundesrat.
Dies mitunter, um der Auswahl bestimmter Eigenschaften beim Kind keinen Vorschub zu leisten. Der Nationalrat hatte sich in der Sommersession ebenfalls grundsätzlich für die PID ausgesprochen, ist aber bei der Liberalisierung deutlich weiter gegangen als der Bundesrat. Der Ständerat ist ihm nun weitgehend gefolgt.
Inkohärenz: Tests im Mutterleib sind erlaubt
Am Fötus im Mutterleib sind heute im Rahmen der Pränataldiagnostik weitergehende Untersuchungen erlaubt, als dies nun für die Untersuchungen am Embryo vorgesehen ist. Tauchen bei Untersuchungen während der Schwangerschaft Probleme mit dem Ungeborenen auf, können sich die betroffenen Eltern eine Abtreibung überlegen.
Dass bei der PID weniger Tests möglich sein sollen, begründete Bundesrat Alain Berset damit, dass die gesellschaftliche Akzeptanz für eine weitere Ausdehnung nicht gegeben sei. Eine Selektion der Embryonen vor der Einpflanzung sei heikel.
Schon heute sei der Anspruch auf ein gesundes Kind verbreitet. Die Rede war auch von «Nachwuchsoptimierung» und der Diskriminierung Behinderter und ihrer Eltern, wenn sich ein behindertes Kind mit einem einfachen Test «vermeiden» lasse.
Trisomie-21-Test bei künstlichen Befruchtungen
Der Ständerat ist nun von seiner restriktiveren Linie abgewichen. Eine Minderheit wollte wie der Bundesrat zwar dabei bleiben, dass nur jene Paare auf diese Tests zurückgreifen dürfen, bei welchen eine Veranlagung für schwere Erbkrankheiten bekannt ist.
Statt rund 6000 wären das nur 50 bis 100 Fälle pro Jahr gewesen. Eine Mehrheit beschloss nun aber, dass alle Paare, die die Voraussetzungen für eine künstliche Befruchtung erfüllen, Aneuploidie-Screenings durchführen lassen dürfen.
Die Befürworter verwiesen unter anderem auf die Empfehlung der Nationalen Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin. Diese hatte solche Screenings gutgeheissen. Vor allem aber schien es ihnen paradox, ein Embryo in die Gebärmutter einzupflanzen, um es dann später wegen einer Chromosomenstörung abzutreiben.
Bessere Chancen auf ein Kind durch Zwölfer-Regel
Mit dem heute geltenden Fortpflanzungsmedizingesetz dürfen bei einer künstlichen Befruchtung maximal drei Embryonen pro Zyklus in vitro entwickelt werden. Neu sollen bei PID-Verfahren nicht nur drei, sondern maximal zwölf Embryonen entwickelt werden dürfen. Der Nationalrat hingegen beschloss, überhaupt keine Zahl festzuschreiben.
Künftig soll es zudem erlaubt sein, Embryonen zu Fortpflanzungszwecken zur Aufbewahrung einzufrieren. Die beiden letztgenannten Neuerungen – die Möglichkeit, Embryonen aufzubewahren sowie die Zwölfer-Regel bei der PID – erfordern eine Änderung der Bundesverfassung über Fortpflanzungsmedizin und Gentechnologie im Humanbereich. Es wird also auch eine Volksabstimmung nötig sein, damit die Änderungen in Kraft treten können. Die Vorlage geht nun wieder an den Nationalrat.