- Der Bund setzt sich mit Präventionsprojekten für Pädosexuelle auseinander.
- Die Idee ist nicht neu: In Frauenfeld (TG) gibt es bereits ein privates Projekt.
- 80 Schweizer nutzen es.
- Weiche Faktoren belegen seinen Erfolg.
- Die Geschäftsführerin warnt vor Sozialen Medien.
Lena* ist 12 Jahre alt. Sie spielt am Strand auf Kreta. Und tollt sie weiter fröhlich im Sand, ist ihr knappes Höschen bald ganz verrutscht. Nicht der Rede wert, möchte man meinen. Lena* ist ja ein Kind. Aber gerade weil sie ein Kind ist: Muss ihr dann auf Facebook eine ganze Community zuschauen?
Gleich zwei Geschäfte der laufenden Wintersession nehmen sich der Verbreitung sexualisierter und sexualisierbarer Kinderfotos an. Die Motion Natalie Rickli (SVP) will den gewerbsmässigen Handel mit Posing-, die Motion Viola Amherd (CVP) die Verbeitung von Sexting-Bilder verbieten. Dabei ist beiden Vorlagen eines gemein: Sie wollen potentielle Opfer schützen.
Dabei kann man Massnahmen gegen Pädosexualität auch anders ergreifen – wie der Bundesrat beweist. Vor wenigen Tagen hat er sich bereit erklärt, Präventionsprogramme für mögliche Täter zu prüfen. Ein Paradigmenwechsel? Keineswegs. Auf privater Basis hat die therapeutische Blickwinkelverschiebung längst stattgefunden.
80 Prozent der zu Behandelnden sind von selbst gekommen
Aus dem Forensischen Institut Ostschweiz (Forio) ist vor zehn Jahren das Projekt 'Kein Missbrauch' hervorgegangen. In Zusammenarbeit mit dem deutschen Projekt 'Kein Täter werden' bietet es Personen eine Behandlung an, die eine pädosexuelle Neigung verspüren. Seither betreuen die zuständigen Fachleute ein dreifaches Klientel: Personen im Hellfeld (delinquent und justizbekannt), im Dunkelfeld (delinquent, aber nicht überführt) und solche, die nie straffällig geworden sind, einen Übergriff aber nicht ausschliessen können. 20 Prozent dieser Personen wurden dem Forio von Behörden überwiesen. 80 Prozent (!) sind von selbst gekommen.
Eine pädophile Neigung trifft einen, man wählt sie nicht.
Laut Monika Egli-Alge, Geschäftsführerin Forio, zeigt dieses Verhältnis, wie wichtig eine Anlaufstelle wie 'Kein Missbrauch' ist. «Unsere Fachstelle ist dringend nötig. Denn betroffene Personen wenden sich aus Scham erfahrungsgemäss kaum an ihren Hausarzt.»
Derzeit sind 80 Männer beim Forio in Behandlung. Das Klientel ist laut Egli-Alge bunt gemischt. «Vom Hilfsarbeiter bis zum Hochschulabsolvent, ledig und verheiratet, mit eigenen Kindern und kinderlos und zwischen 18 und 68 Jahren alt.»
Eine «brutale» Einsicht muss erlangt werden
Die Therapie startet mit einer Diagnostikphase und wird abgelöst von einer Behandlungsphase. Diese beinhaltet psychotherapeutische Gespräche, nach Indikation auch medikamentöse Behandlungen und – selten – eine chemische Kastration.
Geradezu «brutal» sei die Einsicht, die im Zuge der Behandlung erreicht werden will. «Die Neigung trifft einen, man wählt sie nicht. Pädophil ist pädophil.» Doch Egli-Alge stellt klar: «Das sexuelle Verhalten aber kann und muss man steuern. Diese Kontrolle müssen die Betroffenen erlernen und sichern.»
Der Erfolg von 'Kein Missbrauch' ist schwierig zu messen. «Harte Faktoren wie Strafregisterauszüge von Personen, die endgültig straffrei bleiben, sind nur über Jahrzehnte aussagekräftig», so die Fachpsychologin. «Wir sind aktuell auf weiche Faktoren wie Selbstberichte angewiesen.»
Wir erstatten Anzeige, wenn Gefahr in Verzug ist.
Ganz selten gebe es Behandlungsresistente, die ihre Neigung kategorisch verleugneten. Die Fachleute vom Forio hätten dann keine Anzeigepflicht, nähmen sich aber das entsprechende Recht. Egli-Alge: «Wir erstatten Anzeige, wenn Gefahr in Verzug ist. Also dann, wenn uns eine Person beispielsweise mitteilt, dass sie jetzt dann gleich ein Kind missbraucht.»
Facebook macht nicht pädophil, aber...
Wenn sich neu auch der Bund für solche Präventionsprojekte interessiert, erachtet das Egli-Alge als «folgerichtig und klug: Man kann nicht immer nur mehr Repression fordern. Man muss auch Fachleute fragen, welche Behandlungen wirken.» Ferner könne ein Institut wie das Forio zwar operativ tätig sein. «Aber eine Kampagne, wie sie Deutschland kennt, müsste vom Bund aus kommen.»
Mit der steigenden Bedeutung der sozialen Medien ist eine Sensibilisierung der Öffentlichkeit umso wichtiger. «Facebook und Instagram machen nicht pädophil. Aber wer betroffen ist, geht da drauf und sucht und findet.» Damit müssten wir umgehen lernen und unser Bewusstein schärfen, was Bilder – wie etwa jenes von Lena* – schlimmstenfalls auslösen könnten.