An den Plakatwänden hängt Werbung für die Covid-Impfung – statt wie früher für Safer Sex. Und bei Schnelltests denken heute die meisten automatisch an Corona, nicht etwa an HIV-Kontrollen. Corona hat die Bekämpfung von Krankheiten, die beim Sex oder via Blut übertragen werden, ausgebremst. Insbesondere, weil der Bund ein neues nationales Programm um zwei Jahre verschoben hat. Das BAG hat wegen Corona zu viel zu tun.
«Das bestehende Programm ist völlig veraltet»
Schweizer Patientenorganisationen kritisieren, man dürfe nicht bis 2024 warten. David Haerry, der Leiter des Positivrats, sagt: «Das bestehende Programm ist völlig veraltet.» Es stamme aus einer Zeit, in der es noch keine Präexpositionsprophylaxe (PrEP) gab. Diese Medikamente können Menschen mit wechselnden Sexpartnern nehmen, um sich vor HIV zu schützen. Und die zehn Jahre alte Strategie berücksichtige noch nicht, dass HIV und Hepatitis heute viel besser behandelt werden können. «Ein neues Programm gibt uns die Möglichkeit, Hepatitis und HIV zusammenzuführen in der Bekämpfung und der Prävention.» Dies verlangt auch das Parlament.
Das bestehende Programm ist völlig veraltet.
2020 war ein Ausnahmejahr: Die Neuinfektionen mit HIV gingen stark zurück, dasselbe gilt für Hepatitis B und C. Nach einem jahrelangen, steilen Anstieg nahmen auch die Fälle von Chlamdydiose oder Tripper ab. Die Hauptgründe dafür sind gemäss Fachleuten, dass die Menschen wegen Corona weniger zum Arzt gingen, um sich testen zu lassen, und dass niederschwellige Angebote fehlten.
Laut Bettina Maeschli, Geschäftsführerin von Hepatitis Schweiz, steigen die Zahlen dieses Jahr aber wieder deutlich an. «Deshalb gehen wir davon aus, dass wir die Ziele verfehlen werden, wenn wir das nationale Programm nicht möglichst schnell erneuern.»
Bis 2030 kein HIV mehr
Die Schweiz hat sich zu den Zielen der Weltgesundheitsorganisation bekannt: Bis 2030 sollen HIV und Hepatitis eliminiert werden.
Verantwortlich für das neue nationale Programm ist das BAG. Dort heisst es auf Anfrage, die Arbeiten könnten auch ohne neue Strategie weitergehen:
«Die seit Beginn des Programms relevanten, neuen Erkenntnisse verschiedener Disziplinen wie Biomedizin, Public Health und Sozialwissenschaften werden auch in der Verlängerung fortlaufend berücksichtigt.»
Es reicht nicht, dass Leute PrEP nur dann bekommen, wenn sie es sich leisten können.
Benjamin Hampel ist leitender Arzt im Checkup Zürich, das Beratungen und Tests anbietet. Trotz der Fortschritte in den letzten Jahren hält er es für zentral, dass es eine neue Strategie gibt. Der Grund: Die Schweiz hinke bei manchen Massnahmen anderen Ländern deutlich hinterher. Dies betreffe vor allem den Zugang zu Tests und PrEP: «Hier müssen wir uns verbessern. Es reicht nicht, dass Leute PrEP nur dann bekommen, wenn sie es sich leisten können.»
Hampel hebt die Stadt Zürich als positives Beispiel hervor. Die Zürcher Behörden haben letzte Woche entschieden, Tests auf sexuell übertragbare Krankheiten für alle unter 25-Jährigen gratis anzubieten.