Die Chance, in der Schweiz Asyl zu erhalten, hat sich für Frauen und Mädchen aus Afghanistan erhöht. Das Staatssekretariat für Migration hat seine Praxis vor kurzem geändert. Grund ist die Gesetzgebung der Taliban in Afghanistan, die Frauen diskriminiert.
Es steht ausser Frage, dass selbstverständlich diese Frauen aus Afghanistan einen Fluchtgrund haben und Schutz benötigen. Aber das ist bereits unter der alten Praxis möglich, oder sollte es zumindest sein
Dass die Situation für Frauen in Afghanistan unhaltbar ist, das bezweifelt niemand. Auch Susanne Vincenz-Stauffacher nicht, die Präsidentin der Schweizer FDP-Frauen. Doch dass das Staatssekretariat für Migration, kurz SEM, seine Praxis geändert hat, stösst ihr sauer auf.
«Mir erschliesst sich der Sinn dieser Praxisänderung nicht wirklich. Es steht ausser Frage, dass diese Frauen aus Afghanistan einen Fluchtgrund haben und Schutz benötigen. Aber das ist bereits unter der alten Praxis möglich, oder sollte es zumindest sein», so Vincenz-Stauffacher.
SEM: Keine Generalamnestie für alle Afghaninnen
Bis jetzt hätten Frauen aus Afghanistan eine vorläufige Aufnahme erhalten, erklärt Reto Kormann vom SEM. Fast 3100 Frauen aus Afghanistan leben mit diesem Status in der Schweiz. Die vorläufige Aufnahme werde regelmässig überprüft.
Da sich die Situation in Afghanistan speziell für Frauen und Mädchen verschlechtert habe, habe man nun die Praxis angepasst. Die Frauen können Asyl erhalten, damit könne man in der Schweiz bleiben. Kormann betont aber auch: «Wir führen mit jeder Frau, die als Afghanin in der Schweiz lebt, ein reguläres Asylverfahren durch und selbstverständlich prüfen wir auch im Rahmen dieses Gesuches jeden Antrag einzeln. Also ist es keine Generalamnestie für alle Afghaninnen, die in der Schweiz leben.»
Sorge um Pull-Effekt
Die FDP befürchtet, dass durch den Familiennachzug einerseits afghanische Männer ebenfalls leichter Asyl in der Schweiz erhalten. Und dass die Schweiz für Afghaninnen zu attraktiv werde. In der Fachsprache nennt man das Pull-Effekt.
Wir holen eigentlich nur das nach, was viele andere (europäische Länder) schon machen.
Wenn man eine Asylpraxis ändere, gehe es nicht darum, einen möglichen Pull-Effekt zu prüfen, sondern um die Zustände im Heimatland der Gesuchstellerin, so Kormann. Viele europäische Staaten hätten ihre Praxis bezüglich Afghaninnen bereits angepasst. «Wir folgen da dem Beispiel vieler europäischer Länder, die diese Praxisänderung bereits durchgeführt haben. Wir holen eigentlich nur das nach, was viele andere schon machen.»
Doch könnten nun mehr Afghaninnen, die sich in anderen europäischen Ländern aufhalten, in die Schweiz reisen, um von der Praxisänderung zu profitieren? Auch das glaubt Kormann nicht. Die Schweiz prüfe, ob die Person bereits in einem anderen sicheren Staat ein Asylgesuch gestellt habe. Wenn das so sei, ersuche die Schweiz diesen Staat, die Person, auch Frauen, zurückzunehmen.
Und wenn schon immer kolportiert sind, es kommen zu viele und es kommen die Falschen, dann frage ich mich langsam schon, welches sind denn eigentlich noch die Richtigen?
Nicht alle bürgerlichen Politiker kritisieren die Praxisänderung für Afghaninnen. So versteht Marianne Binder, Aargauer Mitte Nationalrätin, das Gerassel um die Praxisänderung nicht. In Anlehnung an den Wahlkampfslogan der SVP meint sie: «Und wenn schon immer kolportiert wird, es kommen zu viele und es kommen die Falschen, dann frage ich mich langsam schon, welches sind denn eigentlich noch die Richtigen?»
Trotzdem wird das Thema wohl noch einen Moment lang weiterdrehen: Wahrscheinlich bereits nächste Woche, wenn die eidgenössischen Räte in einer Sondersession über Zuwanderung und Asyl sprechen.