Vorrechte für Geimpfte? Das ist eine heikle politische Frage. Die Parteien sind gespalten. Aber es gibt auch klare ethische Bedenken, wie Ruth Baumann-Hölzle von der Stiftung Dialog Ethik ausführt.
SRF News: Sind Impfprivilegien vertretbar, etwa beim Zugang zu Restaurants oder Kinos?
Ruth Baumann-Hölzle: Das kommt immer auf die Bedingungen an. Bei der aktuellen Impfstoffknappheit stehen Impfungen nur einer beschränkten Zahl von Menschen, den Risikogruppen, zur Verfügung. Diese Risikogruppen werden bereits privilegiert. Wenn man ihnen jetzt aufgrund ihrer Impfung noch zusätzlich Privilegien gibt, wäre das eine Doppelprivilegierung gegenüber der restlichen Bevölkerung. Das würde die Gleichbehandlung infrage stellen. Auf der anderen Seite steht der Anspruch auf Freiheits- und Abwehrrechte im Zusammenhang mit einer Fremdgefährdung.
Die Risikogruppen sind bereits privilegiert. Es käme also zu einer Doppelprivilegierung.
Dazu gibt es völlig neue Ansprüche an die Offenlegung von Gesundheitsdaten und die Frage, wie weit man die persönliche Integrität verletzen kann und muss, um Zugang zu erhalten. Hier gilt es abzuwägen. Im Moment befinden wir uns in der Logik der Pandemie, in der das Gruppeninteresse vor das individuelle Interesse gestellt wird.
Ist es nicht nachvollziehbar, dass man Geimpfte bevorzugt, wenn sie andere schützen wollen?
Allgemein geht es nicht um die Impfung an und für sich, sondern darum, wie eine Fremdgefährdung in einer Gesellschaft toleriert wird. Sobald alle Risikogruppen Zugang zu einer Impfung haben, können sie abwägen, ob sie sich impfen lassen wollen. Damit ist der Selbstschutz gegeben.
Es geht auch darum, wie eine Fremdgefährdung in einer Gesellschaft toleriert wird.
Es geht zugleich um die Frage der Verhältnismässigkeit und inwiefern eine ungeimpfte Person überhaupt eine Gefährdung ist. Es geht aber auch um die Frage, wie man mit negativ getesteten Personen umgeht oder jenen, die bereits eine Erkrankung durchgemacht haben.
Zieht also das Argument nicht, dass selber schuld ist, wer sich bei genügend Impfstoff nicht impfen lässt?
Nein. Denn dann können sich alle, die gefährdet sind oder sich als gefährdet empfinden, impfen lassen. Es bleibt die Gruppe jener, die sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen kann. Die Folgen eines Impfzwangs oder Impfpasses stehen gesamtgesellschaftlich im Verhältnis zu der wahrscheinlich sehr kleinen Minderheit, die sich nicht impfen lassen kann.
Braucht es eine rechtliche Grundlage?
Die Rechtslage muss ohnehin geklärt werden, wenn plötzlich private Veranstaltungen Anspruch auf Gesundheitsdaten erheben könnten. Wenn Restaurants plötzlich meinen Impfstatus kennen, führt das ja auch praktisch zu einer ganz neuen gegenseitigen Kontrolle.
Würde der privilegierte Zugang von Geimpften de facto zu einem Impfzwang führen?
Wenn der Zugang zu allen Möglichkeiten des guten Lebens wie Restaurants und Konzerte nicht mehr anders möglich ist, käme das einem indirekten Impfzwang gleich. Vor dem Hintergrund sind auch Ungeimpfte sowie Menschen mit negativen Tests und durchgemachter Erkrankung zu betrachten. Zugleich können sich alle Risikogruppen und andere mit einer Impfung dem Risiko einer Ansteckung entziehen. Insofern ist das Abwehrrecht garantiert.
Sie plädieren also dafür, keine Privilegien für Geimpfte zu schaffen?
Ja, ich halte dies gesamtgesellschaftlich und auch weltweit für sehr gefährlich. Denn man würde Spaltungen vorantreiben, mit nicht absehbaren langfristigen Folgen. Für dem Moment wäre es zudem eine doppelte Privilegierung, weil noch gar nicht genügend Impfstoff vorhanden ist.
Das Gespräch führte Salvador Atasoy.