In der Stadt Bern haben am Donnerstagabend erneut Kritikerinnen und Kritiker der Corona-Schutzmassnahmen ihren Unmut kundgetan. In der Debatte um Verhältnismässigkeit von Verbot und Polizeieinsatz geht unter, dass die Bewegung der Massnahmen-Kritiker sich am Scheidepunkt befindet. Denn vor der erneuten Demonstration geschah Bemerkenswertes.
Exponenten der «Freiheitstrychler» und der Gruppierung «Mass-Voll» riefen dazu auf, aus Bern fernzubleiben. Sie kritisierten zwar erneut die Massnahmen, sprachen von Unterdrückung und versuchten für eine neue Protestveranstaltung zu mobilisieren. Aber sie sagten: Bleibt zu Hause. Und wiederholten den Aufruf, auf Gewalt zu verzichten.
Brüche tun sich auf
Das mag einige abgehalten haben, nach Bern zu pilgern – andere mögen sich gesagt haben: Jetzt erst recht. In Teilen der Bewegung, das ist in den sozialen Medien zu verfolgen, gelten «Freiheitstrychler» und «Mass-Voll» nun als Verräter.
Was hier zu beobachten ist, zeigte sich schon bei anderen Protestbewegungen: Angesichts staatlicher Repression und dem Rückgang breiter Unterstützung auf den Strassen werden Bruchlinien sichtbar: Grob gesagt jene zwischen den Moderaten und den Extremisten.
Moderate vs. Extremisten
Die Moderaten: Ihre Forderungen mögen alles andere als moderat bleiben, jedoch ihre Mittel. Denn sie scheinen zumindest derzeit auf dem Weg der Gewaltfreiheit zu bleiben, nutzen politische Instrumente, versuchen es vielleicht mal mit juristischen Schlupflöchern oder auch grenzwertigen Provokationen – doch sie bleiben im Grossen und Ganzen im demokratischen System, das sie ja zu verteidigen vorgeben.
Die Extremisten hingegen melden sich je länger je mehr vom demokratischen System ab, scheinen sich zu sagen: Das bringt nichts. Wir müssen andere Saiten aufziehen. Die Folge: Der Staat und seine Institutionen werden verstärkt zum Feindbild, die Polizei zu seinem Vollstrecker, Bürgerinnen und Bürger in Freund und Feind unterteilt. Wir gegen die anderen.
Wobei die eigene Opferrolle zelebriert wird: Man werde angegriffen, müsse sich und höhere Werte wie die Verfassung, die Freiheit, verteidigen. Genau das kann zur Rechtfertigung von Gewalt führen. Möglicherweise von Kleingruppen oder Einzeltätern, die sich von permanenter Hetze und gegenseitigem Aufschaukeln zum Handeln berufen fühlen.
Dialog statt Verbot?
Diese Radikalisierungsspirale – die im Fall der Massnahmenkritiker teils von Rechtsextremen bewusst angekurbelt wird, weil sich so Nachwuchs rekrutieren lässt – ist ebenso in Teilen der Linksextremen zu beobachten. In gewissen Ecken der Kritiker-Bewegung ist diese Dynamik seit über einem Jahr zu beobachten, Gewaltausbrüche wie vor dem Absperrgitter auf dem Bundesplatz kommen daher nicht überraschend.
Mit dem Demoverbot tappt die Politik aber in eine Falle: Sie liefert den Extremisten Futter für ihre Propaganda der angeblichen staatlichen Unterdrückung. Vielleicht wäre es daher klüger, das Demonstrationsrecht zu gewähren, so hätte man Ansprechpartner bei den Organisatorinnen, und hielte damit den Draht zu den Moderaten aufrecht.
Nur stellt sich die Frage: Sind Exponenten, die von einem «Volksaufstand» schreiben, der nötig sei, um «ein Leben in Freiheit zu ermöglichen», noch zu den Moderaten zu zählen oder zu den Extremisten? Denn immerhin können solche Aussprüche von Gewaltbereiten als Aufruf gelesen werden.
Vor genau diesem Scheidepunkt steht die breit zusammengewürfelte Bewegung der Massnahmengegnerinnen heute: dem Tatbeweis, wie ernst sie es wirklich meinen mit der Gewaltfreiheit. Und der Staat sollte den Tatbeweis liefern, dass Grundrechte für alle gelten, auch vielleicht unbequeme Meinungen.