Vielen jugendlichen Psychiatrie-Patienten ging es während des Lockdowns besser, zeigt eine Umfrage der Psychiatrischen Uniklinik Zürich. Doch jetzt nähmen die Notfälle wieder zu, sagt Klinikdirektorin Susanne Walitza.
SRF News: Wie hat sich die Corona-Sitaution auf die Patientinnen und Patienten ausgewirkt?
Susanne Walitza: Bei einer grossen Gruppe unserer Patienten haben sich die Probleme während des Lockdowns nicht verschlechtert. In einer Gruppe gab es sogar eine Verbesserung – und diese Gruppe war grösser als jene, bei der sich die Symptome verschlimmert haben.
Bei depressiven Jugendlichen haben sich die Symptome tendenziell verstärkt.
Bei welchen Erkrankungen kam es tendenziell zu einer Verschlechterung der Situation?
Das waren vor allem depressive Jugendliche. Es sind junge Menschen, die viel nachdenken, grübeln, manchmal verzweifelt sind und sich schon unter normalen Umständen zurückziehen. Für sie gab es unter dem Lockdown noch weniger Möglichkeiten des sozialen Kontakts als sonst. Dadurch verstärkten sich ihre Symptome.
Welchen Patientengruppen hat der Lockdown schon fast ein bisschen gutgetan?
Besonders aufgefallen ist hier die Gruppe der ängstlichen Patienten. Sie schilderten eher eine Verbesserung bei ihren Symptomen als ein Gleichbleiben. Wir denken, durch die Schulschliessungen hatten sie weniger Stress, weniger soziale Begegnungen, die für sie oft mit Angst besetzt sind. Für sie war es eine Art Schonung.
Ein Grund dürfte die Klarheit sein, mit der kommuniziert wurde: Für alle galt Homeschooling, alle mussten sich an die Regeln halten, ausserdem hat man viel gegenseitige Unterstützung erlebt.
Ängstliche Patienten schilderten eher eine Verbesserung – durch die Schulschliessungen hatten sie weniger Stress.
Das heisst aber nicht, dass die jetzt länger anhaltenden Massnahmen nicht doch noch negative Auswirkungen haben könnten. Derzeit besteht eine grosse Unsicherheit, es gibt widersprüchliche Mitteilungen. Entsprechend relativieren sich die positiven Beobachtungen aus dem Lockdown jetzt im Vergleich zu diesen Risikofaktoren.
In der Tat verzeichnen Sie derzeit eine Zunahme der Notfälle...
Während der Sommerferien hatten wir weniger Notfälle, doch mit dem Beginn der Schule haben die Stressfaktoren und der soziale Druck zugenommen. Wir beobachten seither denn auch einen starken Anstieg der Notfälle.
Mit Beginn der Schule haben die Stressfaktoren wieder zugenommen – wir verzeichnen mehr Notfälle.
Glauben Sie, dass sich die Lage jetzt eher wieder normalisieren oder eher verschlimmern wird?
Sicher ist: Aus der Umfrage können wir sehr viel lernen – etwa über die Schutzfaktoren: Die Familien sind im Lockdown enger zusammengerückt, in der Nachbarschaft hat man sich trotz Social Distancing stark unterstützt. Das war alles sehr positiv – daraus müssen wir eine Lehre ziehen. Insgesamt bin ich angesichts des starken Anstiegs der Notfälle aber eher pessimistisch – und ein Ende der Corona-Krise ist ja nicht abzusehen.
Das Gespräch führte Valerie Wacker.