Sie lehnen den Rechtsstaat ab, zahlen keine Steuern oder Bussen oder schikanieren die Behörden: Staatsverweigerer. Die Zahl hat in den vergangenen Jahren zugenommen, so der Bund auf einen Vorstoss aus dem Nationalrat. Nun will er das Phänomen der Staatsverweigerer und -verweigerinnen analysieren. Extremismusforscher Dirk Baier erklärt, welche Fragen geklärt werden müssen und welche Risiken das Vorgehen des Staates birgt.
SRF News: Der Staat will sich einen Überblick verschaffen. Welche Fragen sind die drängendsten?
Dirk Baier: Eine erste Frage ist die regionale Verteilung. Wir hören meist aus der Ostschweiz von diesem Phänomen, aber wie sieht es in der Westschweiz aus? Eine zweite Frage ist die Gefährlichkeit der Gruppierung. Ist der Zugang zu Waffen vorhanden? Welche Gegenstrategien funktionieren in dem Bereich? Wie ist die Vernetzung ins Ausland?
Der Nutzen solch einer Untersuchung ist grösser als die Kosten.
Was lässt sich heute gesichert über diese Gruppierung sagen?
Nicht allzu viel. Wir wissen, dass es sie seit etwa zehn Jahren in der Schweiz gibt, teilweise durch «Geburtshilfe» aus Österreich oder Deutschland, wo die Reichsbürgerbewegung deutlich stärker ist. Wir wissen von Einzelfällen, bei denen es zu Bedrohungen von Behördenmitarbeitenden gekommen ist. Wir wissen von Workshops, wo man lernen kann, sich effektiv gegen den Staat zu wehren. Besonders auffällig ist die Vernetzung in sozialen Netzwerken. Es gibt Grund zur Sorge, auch wenn ich keine Anzeichen für Putschvorbereitungen sehe.
Warum weiss man so wenig über diese Staatsverweigerer und -verweigerinnen?
Sie halten sich im Wesentlichen zurück, tauschen sich auf sozialen Netzwerken aus. Während der Pandemie waren sie aktiver und sichtbarer. Sie wollen so wenig wie möglich mit dem Staat zu tun haben. Sie treten an entscheidenden Punkten, beispielsweise bei Steuerzahlungen oder Bussgeldern, hervor.
Wie will der Bund trotz dieser Klandestinität ein Lagebild erstellen?
Das ist schwierig. Ein erster Schritt könnte sein, das Wissen der verschiedenen Polizeien zu bündeln. Auch andere Behörden, etwa Betreibungsbehörden, sowie zivilgesellschaftliche Vertreter und Journalistinnen und Journalisten, die die Szene schon länger beobachten, könnten Informationen liefern. Nicht zuletzt muss man auch die Aktivitäten in den sozialen Medien, insbesondere auf Telegram, genau beobachten.
Besteht nicht die Gefahr, dass die Menschen, die den Staat ablehnen, sich weiter radikalisieren, wenn der Staat in die Szene eindringt?
Das ist eine reale Gefahr. Der Staat ist der Feind Nummer eins in dieser Bewegung. Und wenn er solche Aktivitäten entfaltet, entspricht das dem verschwörungstheoretischen Narrativ, das in dieser Gruppe kursiert. Das muss man riskieren. Der Nutzen solch einer Untersuchung ist grösser als die Kosten. Für Einzelne mag es Radikalisierungsmöglichkeiten geben, aber für die Mehrheit erwarte ich das nicht.
Verbote und Gesetzesverschärfungen sind aus kriminologischer Sicht nicht der beste Weg.
Was können Resultate schliesslich bewirken?
Allein die Sensibilisierung und Aufklärung über die Gruppierung sind wichtig, damit sich Behörden besser darauf vorbereiten können. Ich verspreche mir auch Hinweise auf effektive Strategien des Umgangs mit Staatsverweigerern.
Könnte diese Untersuchung zu neuen Gesetzen oder Verboten führen?
Verbote und Gesetzesverschärfungen sind aus kriminologischer Sicht nicht der beste Weg des Umgangs mit Problemgruppen. Sondern es braucht eher sozialarbeiterische Massnahmen. Wir müssen abwarten, was die Analyse ergibt und dann die Folgerungen daraus dann nüchtern abwägen.
Das Gespräch führte Vera Deragisch.