Der Bundesrat ist überzeugt, dass er die Kompetenz hatte, über den Abbruch des Rahmenabkommens zu entscheiden. Bundespräsident Guy Parmelin berief sich gestern auf die Verfassung.
Doch da gibt es Widerspruch vom prominenten Juristen und früheren SP-Politiker Markus Notter, der sich ebenfalls auf die Verfassung beruft. Der frühere Zürcher Justizdirektor und Präsident der kantonalen Justizdirektorenkonferenz hält das Vorgehen für «verfassungsrechtlich problematisch».
Im «Kern verändert»?
Notter, ein Anhänger des Rahmenabkommens, kennt die Bestimmungen bestens, wonach der Bundesrat über internationale Verhandlungen entscheidet. Aber so einfach sei es nicht. Denn der Bundesrat habe mit seinem Entscheid «die bestehenden Marktzugangsabkommen in der Wirkung, im Kern, verändert».
Einen solch weitreichenden Entscheid dürfe der Bundesrat deshalb nicht selber fällen: «Wenn man quasi die Kompetenzordnung der Verfassung, wie sie auf die klassische Aussenpolitik sich bezieht, jetzt auf das Verhältnis Schweiz–EU überträgt, muss man sagen: Ein solcher Entscheid gehört in die Genehmigungszuständigkeit der Bundesversammlung.»
Ein solcher Entscheid gehört in die Genehmigungszuständigkeit der Bundesversammlung.
Notter brachte seine Analyse in den Tagen vor dem Bundeseratsentscheid zu Papier gebracht und schickte diese den Aussenpolitikerinnen des Parlaments und auch der Bundesverwaltung. Sie landete so auch bei Martin Dumermuth, dem Direktor des Bundesamtes für Justiz: «Es ist eine interessante Argumentation, aber zunächst müsste man sich fragen, ob diese Abkommen, die ja grösstenteils statische Abkommen sind, sich grundlegend verändert haben.»
Auch wenn das Abkommen für Medizinprodukte seit gestern nicht mehr aktualisiert sei, mit negativen Konsequenzen für die hiesige Branche, so sei keineswegs sicher, ob der Entscheid des Bundesrates die allseits prophezeiten negativen Auswirkungen habe, so Dumermuth: «Das ist im Augenblick Spekulation.»
Aber auch wenn weitere negative Auswirkungen eintreten würden, sei das noch kein Grund, warum der Bundesrat den Abbruch-Entscheid dem Parlament vorlegen müsste, findet Dumermuth: «Es ist nichts Neues oder Ausserordentliches, dass ein politischer Kontext die Vertragspraxis verändert. Aber die Substanz der Bilateralen hat sich nicht verändert, auch gestern nicht.»
Es ist nichts Neues oder Ausserordentliches, dass ein politischer Kontext die Vertragspraxis verändert.
Es ist eine juristische Frage, mit unterschiedlichen Auffassungen. Aber mit eminent politischen Folgen. Und jetzt wird es interessant. Denn das Parlament hätte den Bundesrat mit Motionen durchaus auffordern können, einen Abbruch-Entscheid dem Parlament vorzulegen.
Dazu sagt Dumermuth: «Die Frage ist, ob in diesem aussenpolitischen Bereich Motionen verpflichtend sind oder nicht. Das ist umstritten. Das Bundesgericht verneint. Aber es ist klar: Wenn eine Motion von beiden Räten erheblich erklärt wird, hat das ein politisches Gewicht, unabhängig davon, ob das rechtlich verbindlich ist oder nicht.»
Motion – noch nicht überwiesen
Und tatsächlich liegt beim Parlament eine Motion auf dem Tisch, die den Bundesrat auffordert, das Rahmenabkommen dem Parlament zu übergeben. Nur hat das Parlament diese noch nicht überwiesen – während der Bundesrat Fakten geschaffen hat.
Was nun, wenn das Parlament diese Motion möglicherweise in der kommenden Sommersession doch noch überweist? Würde der Abbruch-Entscheid dann nachträglich in die Zuständigkeit der Parlamentarier fallen? Dumermuth will darüber nicht spekulieren.