Bundespräsident Guy Parmelin reist am Freitag mit schwerem Gepäck nach Brüssel. Im Treffen mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sehen viele eine letzte Chance für das Rahmenabkommen, andere eine «Mission impossible». Der Ball liege bei der Schweiz, sagt der Politologe Olaf Wientzek.
SRF News: Die Lage ist für die Schweiz und die EU vertrackt. Wer ist mehr schuld daran?
Olaf Wientzek: Solange es eine Möglichkeit gibt, dass man sich einigt, ist die Schuldfrage verfrüht. Das kann man immer noch tun, wenn es tatsächlich scheitert. Ich kann aber derzeit die Irritation und Verwunderung der EU und ihrer Mitgliedstaaten mit Blick auf das Verhalten der Schweiz nachvollziehen.
In der öffentlichen Wahrnehmung hat sich ein wenig die Sicht durchgesetzt, dass Brüssel mit offenem Visier in die Verhandlungen gegangen sei, durchaus hart mit klaren Forderungen, aber transparent. Der Bundesrat hingegen agiere orientierungslos. Ist es so einfach?
Der Eindruck ist nicht ganz falsch. Die EU-Seite sagte immer sehr klar, was möglich ist und was nicht: Keine Nachverhandlungen, aber Klarstellungen durchaus. Man hat etwas zu viel Zeit verloren in den vergangenen Jahren. Das Dossier hat eine Eigendynamik entwickelt, die immer schwerer einzufangen ist.
Warum hat man so viel Zeit verloren?
Es ist verständlich, dass man im Zuge der Wahlen und der Abstimmung über die Begrenzungsinitiative das Dossier ungern auf die Agenda bringen wollte.
Irgendwann muss man den politischen Willen aufbringen und politische Führung zeigen.
Aber irgendwann muss man den politischen Willen aufbringen und politische Führung zeigen. Je länger man wartet, umso mehr verselbständigt sich eine Debatte. Es ist schon auch eine Frage der politischen Führung, dass die Lage so ist, wie sie ist.
Ist also die Schweiz in diesem Dossier nicht führungssicher, der Bundesrat nicht führungsstark?
So weit würde ich nicht gehen. Aber man hat ein paar Mal das Momentum verpasst, die Diskussion wieder auf eine gute Schiene zu bringen. Da hat tatsächlich das politische Timing nicht gestimmt.
Es gibt heute viel mehr Gegner des Rahmenabkommens in der Schweiz als vor zwei Jahren. Zu SVP und Gewerkschaften sind Unternehmergruppen gekommen. Worauf führen Sie das zurück?
Je länger ein Abkommen zurückliegt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass es sich zerreden lässt. Auch kann es zu einer verzerrten Wahrnehmung bezüglich gewisser Inhalte kommen und zur übermässigen Betonung gewisser Aspekte. Etwa beim Europäischen Gerichtshof, dessen Rolle meines Erachtens im Rahmenabkommen ziemlich beschränkt ist. Nicht zu vergessen, dass die Fronten zwischen Befürwortern und Ablehnern zwar differenzierter geworden sind, aber dass das Gros der Wirtschaft weiterhin zum Abkommen steht.
Welches Szenario ist nach dem Treffen am wahrscheinlichsten?
Das kommt darauf an, was Bundespräsident Parmelin im Koffer hat. Die EU-Seite sieht die Schweiz am Zug. Die EU wird, so glaube ich, definitiv nicht den Stecker ziehen. Diesen Gefallen wird man jenen in der Schweiz nicht tun, die das Abkommen nicht mehr so richtig wollen, aber auch nicht den Mut haben, sich öffentlich klar zu positionieren. Die EU hat in den letzten Jahren viel Geduld bewiesen. Man erwartet ein klares politisches Signal, dass die Schweiz die engen Beziehungen fortsetzen und auf eine stabile Basis stellen will. Wenn es kommt, kann sich eine positive Dynamik in Bezug auf die Klärungen entwickeln.
Das Gespräch führte Nicoletta Cimmino.