Mit der Reform des Raumplanungsgesetzes dürfte noch mehr gebaut werden. Deshalb blicken Archäologinnen und Archäologen kritisch auf diese Vorschläge. Einer von ihnen ist der Kantonsarchäologe Adriano Boschetti. Er blickt über das Land von Münsingen, ein Ort zwischen Bern und Thun.
Er zeigt auf eine grosse Baustelle, die gerade erste begonnen har. «Es wird eine neue Entlastungsstrasse für Münsingen gebaut», so Boschetti. Rechts die Baufirma, links Boschettis Team bei einer sogenannten Rettungsgrabung. Dabei werden die Funde und Fundstellen dokumentiert, bevor sie zerstört werden.
«Die Kantonsarchäologie gräbt dort, wo archäologische Fundstellen zerstört werden, weil gebaut wird.» Ihre Hauptaufgabe sei es, die Fundstellen zu schützen. «Die Ausgrabung ist nur die zweitbeste Lösung.» Und geschützt werde das archäologische Erbe dort, wo nicht gebaut und gegraben wird.
Die Kantonsarchäologie gräbt dort, wo archäologische Fundstellen zerstört werden, weil gebaut wird.
Auf dem Feld bei Münsingen haben Adriano Boschetti und sein Team mit Funden gerechnet. Denn dort, wo heute die Kirche steht, stand zu römischer Zeit eine Villa, ein Gutshof. Und tatsächlich kamen unter Gras und Humus die Reste von Wirtschaftsgebäuden aus Stein und weitere Funde zum Vorschein.
Es seien auch ältere Spuren aus der Eisenzeit, der Zeit der Kelten zum Vorschein gekommen, erzählt der Kantonsarchäologe. «Das sind nicht mehr Mauern, sondern sehr viele unscheinbarere Spuren. Die Reste von Holzbauten, von den Pfostenlöchern, die die Häuser getragen haben, die sich nur noch als Verfärbungen im Boden abzeichnen.»
Das alles hält das Team fest. Eine Archäologin zeichnet die Lage und Struktur des Mauerwerks ab, der Zivildienst-Mitarbeitende untersucht die Spuren der Holzpfähle, und der Grabungsleiter hat einen weiteren, breiten Graben aus römischer Zeit entdeckt. Diesen trägt das Team schichtweise ab und untersucht ihn.
Doch der Zeitplan für den Strassenbau drängt und lässt dem archäologischen Dienst wenig Zeit, um die Funde zu sichten und zu sichern. So geht es auch anderen archäologischen Diensten in der Schweiz, die es mit Ausnahme von sechs kleinen Kantonen überall gibt. Gegen 40’000 Fundstellen sind bekannt.
Im Kanton Zürich bezeichnet dessen Leiter Beat Eberschweiler die schiere Menge an Bauvorhaben als Herausforderung. «Sicher 400 bis 500 Bauvorhaben erfordern archäologische Massnahmen.» Diese können kleiner oder aufwändiger ausfallen. «Das ist ein Jonglieren von Entscheiden über das ganze Jahr und das ganze Kantonsgebiet.»
Die beste Grabung ist die, die nicht gemacht werden muss.
Um das archäologische Erbe der Schweiz tatsächlich zu bewahren, müsste weniger gebaut werden, sagt Kantonsarchäologe Eberschweiler und begründet: «Die beste Grabung ist die, die nicht gemacht werden muss.»
Auch die Fachgesellschaft Archäologie Schweiz blickt kritisch auf den Bauboom und insbesondere auf den jüngsten Vorschlag aus dem Parlament: Bauen ausserhalb der Bauzonen, das im Grunde nicht zulässig ist. Der Anspruch, Landschaft und Boden ausserhalb der Bauzone besser zu schützen, werde verfehlt, so Zentralsekretärin Ellen Thiermann.
Der Berner Kantonsarchäologe Adriano Boschetti sagt, es sei sein Job, dieses Erbe zu sichern, bevor es durch den Bau zerstört werde, aber: «Was viel mehr schmerzt, ist das Bewusstsein, dass auf x Baustellen täglich solche Dinge verloren gehen, ohne dass wir es wissen.»