Der australische Kardinal George Pell muss für sechs Jahre hinter Gitter. Der frühere Finanzminister des Vatikans ist der bisher ranghöchste katholische Geistliche, der wegen Kindsmissbrauchs verurteilt wurde. Was löst dieses Urteil bei den Betroffenen aus? Jean-Marie Fürbringer von der Opferhilfe-Gruppe Sapec hofft, dass der Fall auch Auswirkungen auf die Schweiz hat.
SRF News: Wie haben Sie auf die Meldung von Pells Verurteilung reagiert?
Jean-Marie Fürbringer: Seit Jahren belangen die Opfer George Pell gerichtlich. Es war Zeit für einen Prozess. Seine Verteidiger sagen, es handle sich um alte Geschichten. Es ist abstossend, das zu hören, und dass der Angeklagte auf Zeit spielt – insbesondere nachdem die Opfer so lange für Gerechtigkeit gekämpft haben. Natürlich hat jeder das Recht, sich zu verteidigen. Aber Pell scheint zu allem bereit zu sein, auch dazu, die Kirche mitzureissen. Es handelt sich bei ihm immerhin um die ehemalige Nummer 3 in der katholischen Kirche.
Was wird dieses Urteil über die Grenzen von Australien hinaus bewirken?
Die Zukunft vorauszusagen, ist immer schwierig. Aber ich glaube, es hat Auswirkungen. Derzeit verfolgen die Opfer zwei Strategien, um Gerechtigkeit zu erlangen. Einerseits, dass alle Fälle verfolgt werden, andererseits, dass Menschen zur Verantwortung gezogen werden, die Missbrauchsfälle vertuscht haben. Im Fall Pell handelte es sich um eine hochrangige Kirchenperson, die beschuldigt wird.
Pell scheint zu allem bereit zu sein, auch dazu, die Kirche mitzureissen.
Es ist schwer zu sagen, wie es weitergeht. Es gab schon so viele abstossende Fälle, beispielsweise der in den vergangenen Monaten bekannt gewordene Missbrauch von Nonnen. Alle diese Fälle hätten bereits eine Veränderung auslösen sollen, was aber nicht geschehen ist. Ich wünsche mir, dass der aktuelle Fall Auswirkungen hat.
Was muss nun bei der Aufarbeitung von Sexualdelikten in der katholischen Kirche passieren? Was sind Ihre konkreten Forderungen?
Die Opfer müssen immer ernst genommen werden, so wie ich das auch erlebt habe. Was sich schon etwas verbessert hat, ist die Diskussion um die Wiedergutmachung. Darüber muss noch deutlicher gesprochen werden. Was sich im Allgemeinen verändern muss, ist die Verjährung. Die Opfer sprechen oft erst Jahre nach einer Tat darüber, was geschehen ist. Die Verjährung schützt derzeit zu oft die Täter. Sie muss abgeschafft werden.
Das Gespräch führte Kevin Capellini.