Acht Menschen starben im Sommer 2017 im bündnerischen Bergell: Gewaltige Felsmassen lösten sich damals am Piz Cengalo, der Bergsturz begrub den Wanderweg unter sich. Im Vorfeld hatten Messresultate gezeigt, dass der Berg in Bewegung war.
Deshalb stellt sich die Frage, ob die Behörden nicht Vorkehrungen hätten treffen und das Gebiet sperren müssen. Dazu ist seit mehr als fünf Jahren ein juristisches Verfahren im Gang.
Schon vor zwei Jahren entschied das Bundesgericht, dass der Fall neu aufgerollt werden muss. Seither ist in der Sache selber nichts passiert.
Gestritten wurde stattdessen um die Frage, welcher Experte ein geologisches Gutachten zum Unglück, das auch als Bergsturz von Bondo in die Geschichte einging, verfassen soll. Jetzt hat das Kantonsgericht Graubünden entschieden, dass der von der Staatsanwaltschaft vorgeschlagene Gutachter als befangen gilt.
Zufrieden mit dem Entscheid ist Dorothea Karalus. Sie verlor beim Bergsturz ihren Vater. Natürlich müsse der Gutachter ein ausgewiesener Fachmann sein, sagt sie. «Wichtig ist aber auch, dass er möglichst unabhängig ist. Möglicherweise sollte er aus dem Ausland kommen, damit er mit einem frischen Blick draufschauen kann.»
Dieser frische Blick hatte dem Kantonsgericht beim vorgeschlagenen Gutachter gefehlt. Gleich mehrere Punkte weckten Zweifel: Zuerst waren es die wirtschaftlichen Interessen; denn der Geologe ist Verwaltungsratspräsident einer grösseren Firma mit Zweigstelle in Graubünden. Sie hat gelegentlich Aufträge des involvierten Amts für Wald und Naturgefahren
Es bestehen Anhaltspunkte, die bei objektiver Betrachtung Misstrauen in die Unparteilichkeit des Sachverständigen erwecken.
Dann war da die Teilnahme an einer Exkursion im Bergsturzgebiet nach dem Unglück, organisiert vom involvierten kantonalen Amt. Schliesslich machte SRF publik, dass die Firma des umstrittenen Gutachters an einem Unternehmen beteiligt war, das bereits vor dem Bergsturz im Gefahrenmanagement am Piz Cengalo tätig war.
Das Fazit des Kantonsgerichts Graubünden: «Bei dieser Sachlage bestehen zumindest Anhaltspunkte, die bei objektiver Betrachtung Misstrauen in die Unparteilichkeit des von der Staatsanwaltschaft vorgesehenen Sachverständigen erwecken.» Damit muss das Verfahren mehr als fünf Jahre nach dem Bergsturz von Bondo erneut neu aufgerollt werden.
Anna Giacometti war damals Bergeller Gemeindepräsidentin und entschied mit, die Wanderwege offenzulassen. Sie schreibt auf Anfrage von SRF: «Ich bedauere es sehr, dass das Verfahren fünf Jahre nach dem Bergsturz neu aufgerollt werden muss. Es ist für mich nicht nachvollziehbar, wie die Staatsanwaltschaft den nun vom Kantonsgericht abgewiesenen Sachverständigen bestimmen konnte. Die betroffenen Parteien haben ein Recht auf eine saubere Abklärung durch einen neutralen Gutachter.»
Staatsanwalt akzeptiert den Entscheid
Den Gutachter vorgeschlagen hatte der Bündner Staatsanwalt Bruno Ulmi. Die Staatsanwaltschaft habe den jetzigen Entscheid des Kantonsgerichts zur Kenntnis genommen und akzeptiert, sagt er. «Wir hoffen, dass auch die anderen Parteien diesen Entscheid nicht ans Bundesgericht weiterziehen.»
Die Staatsanwaltschaft werde sich nun auf die Suche nach einem neuen Sachverständigen machen. Ulmi findet es falsch, zu sagen, es müsse jetzt unbedingt ein Sachverständiger aus dem Ausland her. «Wichtig ist, dass die Beweise korrekt erhoben werden. Dabei muss der Sachverständige von allen Parteien mitgetragen werden.»
Mit dem Entscheid des Kantonsgerichts heisste es mehr als fünf Jahre nach dem Bergsturz von Bondo einmal mehr: zurück auf Feld eins.