Christoph Jenzer feiert in diesem Jahr den 125. Geburtstag seines Familienunternehmens. In vierter Generation führt er in Arlesheim/BL ein Hotel mit einem Restaurant sowie eine grössere Metzgerei. Insgesamt 100 Angestellte beschäftigt das Familienunternehmen.
Das grösste Geburtstagsgeschenk macht Jenzer jetzt seinen Mitarbeitenden. Nach einem tragischen IV-Fall im Betrieb überprüfte der Patron die Pensionskassenlösungen seines Betriebs und kam zum Schluss, dass vor allem Teilzeitbeschäftigte schlecht gegen Invalidität und fürs Alter versichert sind.
Seine Konsequenz daraus: Er strich kurzerhand den Koordinationsabzug bei der Pensionskasse seiner Mitarbeitenden. Für die Angestellten im Hotel und Restaurant bedeutet das, dass ab Januar jeder Franken ihres Lohns versichert ist. In der Metzgerei gilt dasselbe ab März.
Starker Effekt auf die Altersrente
Der Effekt auf die Altersrente ist enorm. «Die Streichung des Koordinationsabzugs hat zur Folge, dass Arbeitgeber und ArbeitnehmerIn jeweils 150 Franken pro Monat an zusätzlichen Sozialbeiträgen einzahlen.
Was mich fasziniert, ist der Hebel: Wenn man 40 Jahre arbeitet, ergibt das für jede und jeden 180'000 Franken mehr Alterskapital, das man sich so erspart oder erarbeitet», rechnet Jenzer vor und legt uns die Tabelle mit den Löhnen, den erwarteten Altersrenten und nach dem Abzug des Koordinationsabzugs vor.
Praktisch alle Mitarbeitenden erreichen eine Altersrente, die über 50 Prozent höher liegt als heute. Besonders eindrücklich ist der Fall einer Person im Betrieb, die nur 40 Prozent arbeitet. Da versechsfacht sich die Altersrente. «Das zeigt nicht, dass meine Leute jetzt eine Luxusrente haben, sondern, dass sie vorher einfach katastrophal war», meint Jenzer.
Jahrelange Diskussion im Parlament
Jenzer nimmt damit etwas vorweg, was Bestandteil der Reform der 2. Säule ist, die seit Jahren im Parlament diskutiert wird und in der kommenden Frühlingssession auf dem Tisch liegt. Ein wichtiges Ziel der Reform – und ein Versprechen der bürgerlichen Parteien, welche die Abstimmung über die AHV-Reform letzten Herbst knapp gewonnen haben – ist die Besserstellung von Arbeitnehmenden, die wenig verdienen oder Teilzeit arbeiten.
Der Koordinationsabzug ist eine wichtige Stellschraube bei der Reform. Dass der Koordinationsabzug gesenkt wird, gilt als ziemlich sicher. Wie stark er gesenkt wird, ist offen. Klar ist: Je tiefer der Koordinationsabzug angesetzt wird, desto grösser ist der Anteil des Lohns, der in der 2. Säule versichert ist, und desto grösser ist bei der Pensionierung das Pensionskassenkapital.
Jenzer ist kein Einzelfall
Patron Christoph Jenzer sagt darum, er hoffe, dass auch andere Unternehmer seinem Beispiel folgen würden. Allerdings bedeutet ein tieferer Koordinationsabzug auch eine grössere finanzielle Belastung für den Arbeitgeber. Lukas Müller-Brunner vom Schweizerischen Arbeitgeberverband warnt darum davor, ein solches Modell, wie es Jenzer gewählt hat, auf alle Branchen oder Arbeitgeber zu übertragen, auch wenn das Beispiel begrüssenswert sei.
Die Unterschiede seien zu gross und lange nicht alle Unternehmen könnten sich das leisten. Ein Einzelfall ist Jenzer aber nicht. Gemäss der Pensionskassenstudie 2022 von Swisscanto kennen heute schon 22 Prozent der Vorsorgestiftungen keinen Koordinationsabzug mehr. Dabei handelt es sich gemäss Zürcher Kantonalbank mehrheitlich um firmeneigene Pensionskassen.
Die Studie zeigt, dass zum Beispiel im Gesundheits- und Sozialwesen bereits ein Drittel der Kassen den vollen Lohn versichern, während in der öffentlichen Verwaltung nur 2.2 Prozent auf den Koordinationsabzug verzichten.
Eine grössere finanzielle Belastung bedeutet ein tieferer Koordinationsabzug aber nicht nur für Arbeitgeber, sondern auch für die Arbeitnehmenden, da ja auch sie höhere Sozialbeiträge zahlen müssen.
Im beschriebenen Beispiel des Familienunternehmens Jenzer sind es 150 Franken pro Monat. Jenzer löst dieses Problem so, indem er einen Teil der Mehrbelastung mit einer zusätzlichen Lohnerhöhung um 100 Franken abfedert.