Wer mag sich nicht an den Skandal mit den Brustimplantaten für Frauen mit billigem Industrie-Silikon erinnern? Oder an die defekten Hüftimplantate?
Diese Probleme bewogen die EU, ihre Regeln für Medizinprodukte zu verschärfen. Heute treten diese neuen Regeln nun in Kraft. Doch die Schweiz bleibt aussen vor: «Ab heute ist die Schweiz dabei ein Drittstaat», sagt Daniel Delfosse vom Branchenverband Swiss Medtech.
Mehraufwand für Schweizer Hersteller
Für Schweizer Unternehmen bedeutet das, dass für sie der Zugang zum EU-Binnenmarkt komplizierter wird. Die allermeisten Unternehmen seien unterdessen aber darauf vorbereitet, sagt Delfosse – auch wenn noch lange nicht alle ihre Produkte gemäss den neuen Vorschriften neu angeschrieben hätten. Das Ganze bedeute einen Zusatzaufwand, der mit rund zwei zusätzlichen Prozent Produktekosten zu Buche schlage.
Umgekehrt haben neu auch europäische Produzenten einen grösseren Aufwand, wenn sie ihre Produkte weiterhin in der Schweiz verkaufen wollen. Swiss Medtech befürchtet deshalb, dass manch europäisches Unternehmen künftig keine Produkte mehr in der Schweiz liefern werde.
Die Situation ist vergleichbar mit jener Grossbritanniens nach dem Brexit.
Auch für die Aufsichtsbehörde Swissmedic ändert sich mit dem heutigen Tag so einiges. Karoline Mathys, Leiterin der Marktüberwachung, spricht von einer Zeitenwende: «In Bezug auf neue Produkte ist die Situation vergleichbar mit jener Grossbritanniens nach dem Brexit.»
Schweizer Behörden tappen im Dunkeln
Bis anhin behandelte die EU die Schweizer Aufsichtsbehörde gleich wie eine Aufsichtsbehörde eines EU-Mitgliedstaates: Swissmedic führte mit EU-Partnern gemeinsame Inspektionen durch und Swissmedic hatte auch Zugriff zu allen vertraulichen Analysen irgendwelcher Medizinprodukte. Das sei ab sofort nicht mehr der Fall, betont Mathys.
In der EU dagegen würden die Aufsichtsbehörden der einzelnen Mitgliedstaaten mit den neuen Regeln noch enger zusammenarbeiten als bisher. Schliesslich seien bessere Produktsicherheit und behördliche Kontrolle Ziel der neuen EU-Regelung. «Es gibt auch eine neue, zentrale Datenbank, über die alle Informationen fliessen. Und die Schweiz erhält darauf keinen Zugriff», so Mathys.
Mangelhafte Medizinprodukte als Folge?
Die Schweiz muss deshalb eine völlig eigenständige Marktüberwachung und eine eigene Datenbank aufbauen, um die Produktesicherheit zu gewährleisten. Zwar arbeite man daran, heisst es von Swissmedic. Doch wenn irgendwo in der EU etwa defekte Hüftimplantate auftauchten, erfahre die Schweiz dies künftig verspätet – möglicherweise erst, wenn die Panne öffentlich wird.
Die möglichen Folgen: «Mangelhafte Produkte bleiben länger im Markt – mit möglichen Auswirkungen für die Patientensicherheit.» Mathys spricht von «potenziell erheblichen Folgen» für die Patientensicherheit.
Nötig wäre das Rahmenabkommen mit der EU
Grund für das alles ist, dass die Schweiz noch immer kein Rahmenabkommen mit der EU hat. Warum nimmt das etwa die SVP einfach so in Kauf? Er verstehe, dass die Schweizer Behörden einen einfachen Austausch mit den EU-Behörden wünschten, sagt Fraktionschef Thomas Aeschi.
Doch: «Der Preis des Rahmenabkommens ist viel zu hoch! Es beinhaltet die zwingende Übernahme von EU-Recht und die Unterstellung unter die EU-Gerichtsbarkeit.»
Auch Aeschi sagt also, dass der Zustand ohne Rahmenabkommen offensichtlich einen Preis habe.