Arbeiten von früh bis spät, jederzeit verfügbar sein für Kinderbetreuung, Putzen und Gäste. Und das für wenige hundert Franken Lohn im Monat. So sollen die Hausangestellten des milliardenschweren indischen Hinduja-Clans im Genfer Nobelvorort Cologny behandelt worden sein. Drei der Angestellten haben gegen die Familie geklagt.
Vorwurf: Menschenhandel
Vier Familienmitglieder des Hinduja-Clans und ein mutmasslicher Komplize sind wegen Menschenhandels angeklagt. Die Arbeitskräfte wurden direkt aus Indien geholt. Der Pass wurde ihnen in der Schweiz abgenommen. Ausbezahlt wurde das Salär auf Konten in Indien, auf die sie keinen Zugriff hatten.
Zum Auftakt des Prozesses am Donnerstag standen verfahrenstechnische Streitereien im Vordergrund. Die Anwälte der Familie versuchten erneut, die drei Richter abzusetzen – ohne Erfolg.
Schlafen im Luftschutzbunker
Eine der Klägerinnen ist heute 58 Jahre alt. In Indien ging sie nur bis zum neunten Lebensjahr zur Schule. Ab 1997 arbeitete sie 20 Jahre lang bei der Hinduja-Familie. In der Villa schlief sie im Luftschutzbunker. Die harte Arbeit machte ihr zu schaffen. Die Kosten einer 2012 in Indien durchgeführten Knieoperation wurden ihr vom Lohn abgezogen.
Wer die happigen Vorwürfe in der Anklageschrift liest, bekommt den Eindruck, dass es sich hier um eine Art moderne Sklaverei handelt. Der Fall wirft zugleich die Frage auf, wie solche illegalen Hausangestellten in der Schweiz leben.
Gemessen an meinen Erfahrungen mit Betroffenen handelt es sich hier eher um einen Extremfall.
Damit kennt sich Rémy Kammermann gut aus – er hilft im Genfer Centre social protéstant Betroffenen. Im Vergleich zu den Berichten seiner Kunden sei der Hinduja-Fall «eher ein Extremfall».
Zwei Gruppen von Hausangestellten
Laut Kammermann gibt es zwei Gruppen von Hausangestellten: Die erste arbeite bei verschiedenen Familien und werde auch besser bezahlt, wenn auch oft unter dem Genfer Mindestlohn.
Die zweite Gruppe arbeite nur bei einem Arbeitgeber. Das sei ein Risikofaktor, so Kammermann. Wenn jemand dann auch noch beim Arbeitgeber wohne, erhöhe sich der Druck: «Der Arbeitgeber wird zum Vermieter. Es bleibt kaum eine Auswahl und es ist schwierig, einfach fortzugehen.»
Aber wieviele solcher Sans-Papiers gibt es in Genf? Dazu hat Claudine Burton-Jeangros, Soziologieprofessorin an der Universität Genf, geforscht. Weil diese Menschen nirgends angemeldet sind, liegen keine genauen Zahlen vor.
Schätzungen gehen von 10'000 bis 15'000 Sans-Papier allein im Kanton Genf aus. Über 100'000 dürften es landesweit sein.
Gemäss Schätzungen leben laut Burton-Jeangros zwischen 10'000 und 15'000 Sans-Papiers allein in Genf. Über 100'000 dürften es landesweit sein. Genf hat in den letzten Jahren im Pilotprojekt Papyrus 3000 von ihnen einen legalen Aufenthaltsstatus gegeben.
Mehrheitlich Frauen betroffen
Bei der Befragung der in Genf regularisierten Personen zeigte sich, dass es sich bei der grossen Mehrheit um Frauen handelt, wie Burton-Jeangros sagt. Die meisten stammten aus Lateinamerika und aus Südostasien, von den Philippinen etwa, oder aus Osteuropa.
In seinem Genfer Büro hat Kammermann noch immer viele Anfragen von Sans-Papiers. Ein Dossier pro Woche reicht er beim Kanton Genf ein, um für einen Betroffenen einen legalen Aufenthaltsstatus zu beantragen. Viele von ihnen hätten ihre Arbeitgeber in die Sommerferien nach Genf begleitet und seien dann geflüchtet. Viele hätten ihre Familien seit Jahren nicht mehr gesehen.
Mit dem Prozess gegen die indische Milliardärsfamilie steht die verborgene Welt der Sans-Papiers erneut im Fokus.